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Zwei Schaufeln

Zur Bedeutung der »Forschungsstelle NS-Pädagogik« an der Goethe-Universität

1.

Gibt es die Forschungsstelle NS-Pädagogik überhaupt noch? 

Seit April 2021 hatten sich die Probleme, die schon seit Gründung der Forschungsstelle in erster Linie mit dem Fachbereich Erziehungswissenschaften und dem Dekanat existierten, zugespitzt. Es gab viel mediale Berichterstattung und der AStA der Goethe-Universität erstellte eine Dokumentation des Konflikts. Im Zentrum der Diskussion standen die folgenden Fragen: 

  • Ist die Erforschung der Pädagogik in der NS-Zeit wirklich nötig? 
  • Braucht es eine umfangreiche Dokumentation der NS-Pädagogik, ihrer Hauptakteure und der pädagogischen Zeitschriften?
  • Soll in der Lehre für zukünftige Lehrkräfte und Studierende der Erziehungswissenschaft systematisch die NS-Pädagogik im Kontext der NS-Verbrechen, der NS-Ideologie und der Pädagogik sowie ihrer Akteure nach 1945 an den Universitäten fest verankert werden? 

     

2.

Die Gründung der Forschungsstelle NS-Pädagogik vor 13 Jahren im Februar 2012 war eine Antwort auf das Desinteresse an genau diesen Fragen. Das hatte eine Vorgeschichte. Im Januar 2012 wurde das dreijährige Lern- und Forschungsprojektes der Hans-Böckler-Stiftung »Theorie und Praxis der Erziehungswissenschaften im Nationalsozialismus« an der Goethe-Universität abgeschlossen. Seit Februar 2012 lief dann das von der DFG (Deutsche Forschungsgemeinschaft) genehmigte und finanzierte Projekt »Rassismus und Antisemitismus in erziehungswissenschaftlichen und pädagogischen Zeitschriften 1933 – 1944/45«. In diesem Kontext wurde am Institut für Allgemeine Erziehungswissenschaften die Forschungsstelle NS-Pädagogik im Februar 2012 in Zusammenarbeit mit dem Fritz-Bauer-Institut gegründet. Finanzierung? Drittmittel!

Ausgangspunkt der Arbeit war die These, dass das Wissen über die NS-Zeit zur Allgemeinbildung gehört und dieses Wissen und die Auseinandersetzung über die NS-Pädagogik fester Bestandteil der Vorbereitung auf den Lehrberuf werden sollen. Die Forschungsstelle NS-Pädagogik wurde zur Förderung der Verbindung von Forschung und Lehre sowie zur zentralen Sammlung und Dokumentation der bisherigen Studien und Materialien zum Thema »Erziehungswissenschaft und Pädagogik in der NS-Zeit« gegründet. Es entstand eine umfangreiche Hand-Bibliothek. Zehn pädagogische NS-Zeitschriften wurden komplett recherchiert, gescannt und Bibliotheken sowohl physisch als auch online auf einer geschützten Homepage der Forschung zur Verfügung gestellt. Dazu kamen die kompletten Publikationen von sechs bedeutenden Erziehungswissenschaftlern, die nach 1945 so taten, als wären sie nie Kollaborateure der Nazis gewesen. (Die Reihe hieß: »Ad fontes«, zurück zu den Quellen, gegen Verleugner und Apologeten. Es ging um die »Säulenheilgen« der Profession, um P. Petersen, H. Nohl, E. Weniger, E. Spranger, H. Roth und H. Wenke). Eine Reihe von Schulen mit diesen Namen wurden daraufhin umbenannt, zu eindeutig waren die Beweise in ihren Nazi-Publikationen. Dazu wurden eine Reihe von Büchern zur NS-Pädagogik verfasst und veröffentlicht, am bekanntesten wurde die Studie zur Nazi-Schülerzeitung »Hilf mit« und Publikationen zum NS-Lehrerbund.

Die Forschung der  Forschungsstelle NS-Pädagogik konzentrierte sich also auf die historische Bildungsforschung, konkret die Analyse der Theorie und Praxis der Erziehungswissenschaft und Pädagogik in der NS-Zeit. Das ist das Alleinstellungsmerkmal, da es eine solche zentrale Forschungsstelle im Rahmen der historischen Bildungsforschung weder in Deutschland noch international gab und gibt. 

Der erste Schlüssel zur Einschätzung der NS-Schulpädagogik war der Blick auf die Erfahrungen und Qualen der verfolgten jüdischen und Siti*zze/Rom*nja Kinder, sowie und auf die NS-Indoktrination der »Anderen«, als arisch eingestuften, Jugendlichen. 

Als zweiter Schlüssel diente der Blick nicht nur auf die überzeugten Nazis, sondern eben auch auf die deutschnationalen Nazi-Kollaborateure. In diesem Kontext steht auch die von der Forschungsstelle angeschobene Kontroverse über den ersten GEW-Vorsitzenden und seiner Haltung als NS-Kollaborateur in der NS-Zeit. Publikation: »Max Traeger –kein Vorbild«. In diesem Kontext entstanden die Forschungsarbeiten über die »NS-Propaganda gegen die Arbeiterbewegung«,  über den Kolonialrassismus in der NS-Zeit (Dr. Z. Ece Kaya), über den Nationalsozialistischen Lehrerbund (Dr. Saskia Müller), über die geschichtsrevisionistische Nachkriegsentwicklung bis heute (Dr. Katharina Rhein), über die NS-Mädchenindoktrination (Jonas Riepenhausen) und über die Rolle der Lehrkräfte in Sonderschulen in der NS-Zeit und ihre Zusammenarbeit mit Ärzten bei der Auswahl für die Sterilisation — eine der Grundlagen der späteren Ermordung (Marietheres Triebe).

3.

Für die Lehre wurde eine zweisemestrige Vorlesung konzipiert, in der es um die NS-Zeit, Verbrechen-Ideologie-Pädagogik und die Nachkriegszeit ging. Diese wurde bis 2018 durchgeführt und immer wieder evaluiert und verbessert. 94 Kurzvideos und die PP-Präsentationen wurden auf einer gesonderten Homepage zur Verfügung gestellt, welche gut besucht wurde. Die Vorlesungen und Seminare wurden über viele Jahre oft mit hochrangigen Gästen (Trude Simonsohn, Romani Rose, der Anwalt einer Nebenklägerin im NS-Prozess, usw.) durchgeführt. Außerdem fand in den letzten Jahren eine von Katharina Rhein und Ece Kaya konzipierte Ringvorlesung gegen Rassismus und Nationalismus statt, die den Zusammenhang zwischen NS-Verbrechen / NS-Ideologie / NS-Pädagogik, der Nachkriegsgeschichte und den aktuellen Ereignissen (NSU usw.) systematisch herstellte, um auf den Lehrberuf vorzubereiten. Als Grundlage wurde — entgegen der Favorisierung einer »Pisa« Orientierung und positivistischen Systemtheorien (N. Luhmann etc.) — bewusst die Vermittlung einer kritischen Erziehungswissenschaft (Adorno/Heydorn) als wesentliche Aufgabe der Lehre angesehen.

4.

Doch für das Dekanat stand die Abschaffung der zweisemestrigen Vorlesung auf dem Plan, denn sowas passte nicht in die vorhandenen Module. Auschwitz hieß es in einer Presserklärung, sei doch nur eine »Spezialfrage« und könne nicht fest im Curriculum verankert werden.  Andere Universitäten würden das ja auch nicht machen und so weiter. 

Ganz nach dem Motto »Grabe, wo Du stehst« wurde schließlich auch auf die Nazi-Zeit der Goethe-Universität eingegangen, als 2014 die 100-jährige Jubelveranstaltung der Goethe-Uni stattfand. Während dieser Jubelfeier der Goethe-Universität 2014 wurde über Dr. Mengeles Promotion und Arbeit in Auschwitz-Birkenau bei gleichzeitiger Anstellung in an der Goethe-Universität sowie über Ernst Krieck, den NS-Rektor der Goethe-Universität 1933, aufgeklärt. Und es wurde protestiert, als ein Raum in der Uni nach Adolf Messer benannt wurde — ein Industrieller mit Nazi-Vergangenheit. Genauso als später gar der SS-Mann Alfred Schmidt auf einer Tafel geehrt wurde. Das erzeugte ordentlich Krach und die Presse berichtete umfangreich. Mithilfe des AStA stand die Forschungsstelle diese Konflikte aber durch. Das Präsidium war damals schlau genug, irgendwann nachzugeben, mit dem Dekanat gab es jedoch weiterhin zahlreiche Konflikte über die Finanzierung1.

5.

Im Jahr 2018 ergab sich dann ein Wechsel in der Leitung. Die Nachfolgerinnen für Leitung der Forschungsstelle NS-Pädagogik, Dr. Ece Kaya und Dr. Katharina Rhein, bekamen ihre Verträge zum 31. März 2021 nicht verlängert – die ›moderne‹ Form der faktischen Entlassung an den Hochschulen. 

Seitdem ist sie Forschungsstelle in der ursprünglichen Form ist nicht mehr existent. Es wurde ein Lern- und Lehrforum ins Leben gerufen,– sicherlich ausgezeichnet, wenn es hält, was versprochen wird. Aber es ist eben keinesfalls mehr eine Stelle für die Erforschung der NS-Pädagogik im Rahmen der historischen Bildungsforschung. Das ist eine Tatsache.

Es existieren noch minimale Reste, die 2022 ausgehandelt werden konnten. Die Jüdische Akademie, die 2025/2026 in Frankfurt Bockenheim eröffnet wird, übernimmt die Hand-Bibliothek der Forschungsstelle, die für den Fachbereich Erziehungswissenschaft »zu schwer« war. 

Es bleibt nur zu hoffen, dass endlich die zusätzliche W2 Professur zur historischen Bildungsforschung über die NS-Pädagogik eingerichtet und weiter dazu geforscht wird und die »Erziehung hin zu Auschwitz und nach Auschwitz« fester Bestandteil des Lehr-Curriculums wird. 

Weitermachen, nicht aufgeben, darum geht es auch hier. 

  • \ \ \ 1

    Die ganze Auseinandersetzung ist dokumentiert in der AStA-Broschüre „Module statt Adorno“, die auch auf der Homepage des AStA Frankfurt heruntergeladen werden kann. Das Ziel der Initiative war und ist es bundesweit, dass eine systematische Beschäftigung mit der NS-Zeit für alle zukünftigen Lehrkräfte im schulischen und nichtschulischen Bereich obligatorisch wird.