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Zwei Interviews mit der Weibelfeldschule Dreieich

Im Zuge der besorgniserregenden politischen Entwicklung und der Dringlichkeit des Themas, konnte ich die Weibelfeldschule für Befragungen zum Thema »Bildung gegen Faschismus« gewinnen. Ein besonderer Dank geht an den Schulleiter der Weibelfeldschule, Erik Grundmann, der der Anfrage sehr offen begegnete. Zudem konnte ich den langjährigen Studienrat und Dozenten Dr. Gerhard Steinl für ein paar Fragen zum Thema gewinnen. Auch bei ihm möchte ich mich bedanken. Die Interviews konfrontieren das Bildungssystem mit folgender Fragestellung: Wie kann Bildung Aufklärungsarbeit gegen Faschismus leisten?

Interview mit dem Schulleiter: Erik Grundmann

 Lieber Herr Grundmann, wie lange sind Sie schon im pädagogischen Bereich tätig? 

Schulleiter an der Weibelfeldschule bin ich seit eineinhalb Jahren und meine Schullaufbahn hat 2006/2007 mit dem Referendariat begonnen. Aber auch vorher habe ich in Vereinen Jugendgruppen geleitet. Mein pädagogisches Interesse hat also schon mit meinem 16. Lebensjahr begonnen. 

 Welche Erfahrungen haben Sie an Schulen mit dem Thema Faschismus gemacht? 

Ich komme von einer Schule in Dietzenbach, dort war Faschismus von der rechtsextremen Ecke her weniger zu erfahren, vielmehr waren dort Islamismus und religiös geprägter Radikalismus ein Thema, die ja auch faschistische Tendenzen haben können. Hier an der Weibelfeldschule gab es hin und wieder Aufkleber auf den Toiletten, jedoch ist mir offener Faschismus noch nicht begegnet. Mir ist aber sehr wohl bewusst, dass viel Faschismus im Untergrund läuft, seien es einzelne Schüler*innen oder Gruppen, welchen oft gar nicht klar ist, was sie dort machen, weil sie Verhaltensweisen aus dem Elternhaus oder ihren Peergroups reproduzieren. 

 Inwiefern kann Bildung in der Lage sein, Faschismus vorzubeugen? 

Ich bin der festen Überzeugung, dass Bildung das zum Thema machen muss, gerade im Hinblick auf die Enthüllung der rechtsextremen Konferenz durch »correctiv« und die mediale Präsenz der AfD, die u.a. versucht mit Meldeportalen oder dem sogenannten »Neutralitätsgebot« von Lehrkräften, auf Bildung einzuwirken. Deshalb habe ich auch relativ schnell reagiert und in unseren schulischen Newsletter geschrieben, dass es dieses »Neutralitätsgebot« der AfD eben nicht gibt, sondern dass wir auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen müssen und die Demokratie gegen extremistische Tendenzen zu verteidigen haben.

 Also würden Sie auch insbesondere die Lehrkräfte dazu aufgerufen sehen, das klar zu thematisieren? 

Absolut. Schule muss das thematisieren, weil Demokratiebildung eine ganz wichtige Aufgabe unserer Arbeit ist, auch vor aller inhaltlichen Vermittlung. Das fängt bei uns schon mit den Intensivklassen an, wo Schüler*innen unterrichtet werden, die gerade zugewandert sind. Dort spielt die Wertevermittlung eine besondere Rolle. Meiner Ansicht nach ist Schule die zentrale Institution für diese Aufgabe, weil dort muss jeder hin. Es kommt aber auch darauf an, Kinder nicht einfach zu verurteilen, wenn solche Tendenzen erkannt werden, sondern Aufklärungsarbeit zu leisten und ihnen klarzumachen, was sie dort eigentlich sagen und tun. 

 Welche Projekte setzt die Weibelfeldschule um, damit eine sinnvolle Demokratiebildung stattfindet? 

Dort braucht man natürlich eine vielseitige Unterstützung. Mit dem sozialen Lernen ist im Curriculum der Mittelstufe immer ein Element fest verankert, das das Miteinander stärkt, Diskriminierungen verringert und die Empathiefähigkeit hervorhebt. Außerdem sind wir »Schule ohne Rassismus, Schule mit Courage«. Das ist zunächst erstmal ein Label, das von uns aber auch aktiv gelebt wird. Es gibt hier schon seit Jahren eine Arbeitsgemeinschaft, die dazu Projekte macht. Zum Beispiel werden an Gedenktagen Info-Stände organisiert und mehr. Die Bücherei spielt dabei auch eine zentrale Rolle. Dort werden immer wieder Projekte durchgeführt, bei denen Ausstellungen realisiert werden, beispielsweise zum Thema »Gastarbeiter und Willkommenskultur«. Von der SV gab es auch schon einige Aktionen zu dem Thema. Allgemein versuchen wir, in regelmäßigen Abständen Projekte zu verwirklichen und im Curriculum ist die Demokratiebildung fest verankert. 

 Entstehen dabei auch Konflikte mit der Wertevermittlung im Elternhaus? 

Das Ziel muss am Ende immer sein, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu vermitteln und vorzuleben. Die Werte im Elternhaus sind natürlich oft wirkmächtiger als das, was wir hier in der Schule machen können. Aber dennoch können wir Angebote machen. Überwältigen oder zwingen dürfen wir aber niemanden. Das Spektrum der Meinungsfreiheit ist groß und wenn jemand AfD-Positionen vertritt, ist das zunächst einmal nicht illegal oder verboten, solange die Meinungsfreiheit der Demokratie es hergibt. Wichtig bleibt, die Schüler*innen zur eigenen Urteilskraft zu befähigen.  

Interview mit dem Studienrat: Dr. Gerhard Steinl

 Lieber Herr Steinl, seit wann sind Sie als Lehrkraft tätig und welche Fächer unterrichten Sie? 

1997 bin ich ins Referendariat gekommen, dann kam das Zweite Staatsexamen und nun bin ich seit Februar 2000 an der Weibelfeldschule. Ab 2009 hatte ich fünf Jahre lang eine Abordnung an der Universität im Rahmen der Schulpraktischen Studien. Hinzugekommen sind noch einige Lehraufträge und von 2020 bis 2024 hatte ich eine halbe Stelle an der Goethe-Universität. Ich unterrichte PoWi, Ethik, Philosophie, Deutsch und Geschichte. 

 Wie betrachten Sie Ihre eigene Rolle als Lehrkraft in Bezug auf die Demokratiebildung? 

Sie könnte intensiver sein. Manchmal habe ich das Gefühl, dass es nicht so ernst genommen wird, wie es eigentlich sollte. Demokratiebildung spielt eine zentrale Rolle und es ist eigentlich eine gemeinschaftliche Aufgabe, bei der die Eltern auch Einfluss nehmen. Hinzu kommt, dass es nicht die Aufgabe eines einzigen Faches ist, zum Beispiel dem Politik- oder Geschichtsunterricht, sondern Aufgabe der gesamten Lehrer*innenschaft, unabhängig von den Fächern. Demokratiebildung zu fördern und Diskriminierungen zu minimieren ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, bei der Lehrkräfte enormen Einfluss nehmen können und müssen, aber nicht die einzige Instanz bilden, die sich dieser Aufgabe stellen muss. 

 Sie haben lange Zeit Philosophie unterrichtet und studiert. In der Frankfurter Schule hat die Bildung einen besonderen Stellenwert. Was bedeuten Bildung und Erziehung im Kontext der Kritischen Theorie? 

Die Antwort ist ganz leicht und bündig zu geben: dass Hitler nicht mehr sei. Die Erziehung und jeder Unterricht ist darauf auszurichten, dass der Faschismus nicht wiederkehrt. Dabei muss man allerdings aufpassen, dass es bei den Schüler*innen nicht zum angesagten Image wird, die Lehrkräfte mit faschistoiden Gedankengütern herauszufordern. Eine antifaschistische Gesinnung der Lehrkräfte, die zu stark ausartet, ist ebensowenig die Lösung, weil sie zum Gegenteil des Gewollten führen kann.

 Adorno sprach in dem Kontext auch von dem »madig machen« bestimmter Verhaltensweisen und Inhalte. Müssen Schüler*innen eine bestimmte Haltung erlernen? 

Adorno bezieht sich dabei natürlich auf eine gesamtgesellschaftliche Entwicklung der populären Kulturindustrie. Wenn Schüler*innen, auch gerade in Bezug auf Social Media, nicht lernen, dass es Schwachsinn ist, nur mitzumachen, weil alle mitmachen, ohne Sinn und Zweck dahinter, dann ist das eine schwierige Angelegenheit. Lehrkräfte müssen in dem Kontext auch klar Stellung beziehen und über bestimmte Inhalte und ihre Gefahren aufklären. Das Mitläufertum ist in der Kritischen Theorie der Einstieg in den Faschismus und diesen gilt es zu verhindern. Natürlich gilt es auch zu berücksichtigen, dass Heranwachsende in ihren Peergroups dazugehören wollen. Aber »madig machen« heißt dann auch, dafür zu sorgen, dass die angenommene Identität in der Adoleszenzentwicklung nicht alles andere zerstört. Jeder muss freiheitlich einsehen, dass es nicht darum geht, den anderen hinterherzulaufen, sondern den eigenen Weg zu finden, unabhängig von TikTok-Trends. »Madig machen« muss man letztlich auch den übertriebenen Gehorsam gegenüber Vorgaben in der Schule. Insgesamt ist Bildung auch auf kritisches Denken ausgerichtet und es sollte im Unterricht nicht immer darauf ankommen, einfach alles auswendig zu lernen, sondern sich kritisch mit etwas auseinanderzusetzen. Wenn dies nicht geschieht, entstehen Ungerechtigkeiten gegenüber den Schüler*innen, die dann wiederum zu Faschismus führen und ihn begünstigen können. Schule hat sich also auch immer selbst zu reflektieren, damit der »Verblendungszusammenhang« (nach Adorno) gebrochen wird.