Ehrung mit Beigeschmack
Am 1. Dezember hat das Land Hessen auf dem Frankfurter Uni-Campus die Wilhelm-Leuschner-Medaille posthum an Fritz Bauer verliehen. Die Festrede hielt der CDU-Ministerpräsident Rhein. Die späte Ehrung des Generalstaatsanwalts, der die Aufarbeitung von NS-Verbrechen energisch vorantrieb, erfolgt damit aus den Händen jener Partei, die in den 1960ern nichts unversucht ließ, Bauer aus seinem Amt zu drängen.
Am 12. März 1963 beantragte die CDU-Fraktion, stellvertretend durch ihren Fraktionsvorsitzenden Erich Großkopf, die Abberufung des hessischen Generalstaatsanwalts Fritz Bauer.1 Am 1. Dezember 2022 verleiht der hessische CDU-Ministerpräsident Boris Rhein nun die höchste Ehrung des Landes Hessen, die Wilhelm-Leuschner-Medaille, posthum an Fritz Bauer. Der Festakt findet auf dem IG-Farben-Campus der Goethe-Universität statt.
Zur Zeit des Abberufungsantrags der CDU war Fritz Bauer damit befasst, jene Ermittlungen zu leiten, die wenig später, im April 1963, zur Einreichung der Anklage im ersten Frankfurter Auschwitzprozess führten. Bereits ein Jahr zuvor hatte ein junger rheinland-pfälzischer CDU-Landtagsabgeordneter namens Helmut Kohl, der später noch zum »Kanzler der Einheit« avancieren sollte, sich angesichts eines Textes Fritz Bauers zu den Ursprüngen nationalsozialistischer Ideologien geäußert. Kohl behauptete, der zeitliche Abstand zum Nationalsozialismus sei zu gering, als dass ein abschließendes Urteil möglich sei.2
Knapp 60 Jahre später ist es nun die hessische CDU in Gestalt des Ministerpräsidenten, die nicht mehr die Abberufung Bauers fordert, sondern ihn ehren will. Dieser Sinneswandel ist aus Sicht der CDU durchaus einleuchtend: In den 1960ern galt Fritz Bauer, welcher sich dem Aufbau einer demokratischen Justiz und der konsequenten Verfolgung und Verurteilung von Nazi-Täter*innen verschrieben hatte, der CDU als Feindbild. Die Partei gerierte sich als erbitterter Gegner Bauers, der als Generalstaatsanwalt maßgeblich Verfahren gegen NS-Funktionäre und Mittäter*innen der nationalsozialistischen Verbrechen initiierte und vorantrieb. Heute eignet sich das Land Hessen unter der Ägide der CDU das Erbe Bauers lieber an, entpolitisiert es und stellt es in den Dienst der staatlichen Erinnerungskultur der wiedergutgewordenen Deutschen.
»Sein Ziel war […] nie die Vergeltung«, behauptet Ministerpräsident Boris Rhein forsch in jener Pressemitteilung der Staatskanzlei, in der das Land die Ehrung Bauers ankündigte.3 Es ist nicht das erste Mal, dass sich das Land Hessen mit dem Namen Fritz Bauer rühmt. Dass es durchaus Bauers Ziel war, Nazis per Gerichtsurteil für ihre Taten zur Rechenschaft zu ziehen und schlussendlich zu bestrafen, fällt dabei glatt unter den Tisch. Tatsächlich thematisierte Bauer unermüdlich auch die Entstehungsbedingungen des Nationalsozialismus. Als er 1961 gegenüber der dänischen Presse die Kontinuitäten autoritärer Charaktere in der BRD thematisierte, war es wiederum die CDU, die Bauer »leichtfertige Unterstellungen«, »törichte, unfundierte Verallgemeinerungen« und eine »pauschale Beleidigung der Bevölkerung der Bundesrepublik« vorwarf.4 Bereits nach diesem Interview forderte der hessische CDU-Vorsitzende Wilhelm Fay die Abberufung Bauers, ebenso wie Erich Großkopf drei Jahre später. Unter diesen Vorzeichen scheint eine Ehrung Bauers unmöglich, wenn sie nicht den gesellschaftlichen Kontext der 1960er Jahre thematisiert – und damit die Widerstände, gegen die Bauer arbeitete, welche auch und gerade in der CDU ihre parteipolitische Heimat fanden.
Von Leuschner zu Bauer
Wilhelm Leuschner, der dem Preis seinen Namen gab, war sozialdemokratischer Widerstandskämpfer. Er wurde nach dem 20. Juli 1944 denunziert und von den Nazis ermordet. Die Medaille ist daher für Personen bestimmt, die im Geiste Leuschners handeln. Entsprechend erhielten ab der ersten Verleihung 1964 zahlreiche Personen den Preis, die im Widerstand gegen das NS-Regime gekämpft hatten, darunter Eugen Kogon, Nora Platiel, Ludwig Gehm, Kurt Wolff und Martin Niemöller. Zwar wurden auch stets Personen ohne Bezug zum Widerstand gegen den NS geehrt, dennoch gilt: Für die kleine Szene des sozialdemokratischen, gewerkschaftlichen und sonstigen linken Widerstands war die Leuschner-Medaille als bundesweit einzigartige Ehrung bedeutsam. Widerstand gegen den NS galt vielen in den 1960er Jahren – auch und gerade in der CDU – als gleichbedeutend mit »Volksverrat«. Im »roten Hessen« jedoch war eine offizielle staatliche Anerkennung der Verdienste des linken Widerstands möglich.
In den letzten Jahren hat sich die Verleihungspraxis unter der CDU-geführten Landesregierung merklich verändert: Nur noch ausnahmsweise werden seitdem Aktivist*innen, die sich mit NS-Aufarbeitung beschäftigen, Antifaschist*innen oder Gewerkschafter*innen geehrt.
Unter den Ausgezeichneten sind stattdessen zahlreiche ehemalige Minister*innen, daneben aber auch ein Bundeswehrgeneral, ein PR-Agent, diverse Bischöfe und ein Heimatvertriebenenbeauftragter. Es drängt sich der Eindruck auf, dass die Medaille auf ihre Rolle als höchster Landesorden reduziert wird und ihre Geschichte kaum mehr eine Rolle spielt. Durch diese Verleihungspraxis wurde sie weitgehend entpolitisiert und ihres Inhalts beraubt.
Insofern ist die Verleihung der Medaille an Fritz Bauer grundsätzlich zu begrüßen, verweist sie doch auf die Wurzeln und die eigentliche Idee der Medaille: Bauer war – was die CDU, die ihn zum Versöhner entpolitisiert, heute geflissentlich unter den Tisch fallen lässt – nicht nur Aufklärer, sondern auch dem Widerstand verbunden und Sozialist. Fritz Bauer wird mit der zweiten posthumen Ehrung der jüngeren Zeit bedacht – die andere galt Walter Lübcke, dem 2019, im Jahr seiner Ermordung durch einen hessischen Neonazi, die Medaille verliehen wurde.
Insgesamt hinterlässt die posthume Ehrung Bauers trotz seiner unzweifelhaften Verdienste einen faden Beigeschmack: Schließlich wäre auch die Verleihung an lebende Personen oder heute wirkende Initiativen möglich gewesen, die sich für Aufarbeitung und gegen Nazis einsetzen. Die Auseinandersetzung mit rechtem Terror ist keine, die sich lediglich auf die Vergangenheit beschränken lässt, sondern auch heute äußerst notwendig ist – gerade in Hessen, das immer noch als Problemland in Sachen Rechtsterror und dessen Aufarbeitung gilt. Fritz Bauer, der unermüdliche Aufklärer und Mahner, hätte sich wohl mehr über die eigenständige Offenlegung der NSU-Akten durch die hessische Landesregierung gefreut als über jede Leuschner-Medaille.
-
1
Vgl. Drucksache des Hessischen Landtags, V. Wahlperiode, Abteilung 1, Nr. 84.
-
2
Vgl. Conrad Taler (alias Kurt Nelhiebel), Asche auf vereisten Wegen. Eine Chronik des Grauens. Berichte vom Auschwitz-Prozess, 2003, 139.
-
3
Vgl. Pressemitteilung der Hessischen Staatskanzlei vom 8. November 2022.
-
4
Vgl. dpa-Meldung vom 28.2.1963, zit. nach: Matthias Meusch, Von der Diktatur zur Demokratie. Fritz Bauer und die Aufarbeitung der NS-Verbrechen in Hessen (1956-1968), 2001, 108.