Nachruf: Micha Brumlik
4. November 1947 – 10. November 2025
זיכרונו לברכה
Nach langer Krankheit verstarb Micha Brumlik am 10. November 2025 im Alter von 78 Jahren. Die Frankfurter Studierendenschaft hat ihm viel zu verdanken.
1953 kam er mit seiner Familie, die vor dem Nazifaschismus in die Schweiz geflohen war, nach Frankfurt am Main, und wurde Mitglied einer zionistischen Jugendorganisation. Nach dem Abitur zog es ihn nach Israel, wo er in einem Kibbuz lebte und Philosophie studierte. In dieser Zeit des Sechstagekriegs wandelte er sich vom Zionisten zum Antizionisten, erlebte Israel als imperialistischen Staat und wurde Mitglied der sozialistischen Matzpen. Zurück in Frankfurt studierte er Pädagogik, Philosophie und Soziologie und promovierte 1977 in Philosophie.
Die 1970er Jahre mit ihren Ausläufern der 68er-Bewegung prägten Brumlik sehr. In seiner Autobiografie, die er schon mit 51 Jahren vorlegte, schilderte er etwa sein Erlebnis als Jude aus Deutschland auf einem Kongress in Antwerpen im Jahr 1972: Er erlebte, »daß ein Jude in Deutschland nicht nur den deutschen, sondern daß ein Jude aus Deutschland auch anderen Juden als eine Art Monstrum galt«. Einerseits hätten amerikanische Juden derartige Berührungsängste, als sei man gerade erst den NS-Mordlagern entronnen, anderseits hätten »uns Belgier, Briten oder Israelis eher mißtrauisch als Verräter« betrachtet.
In Frankfurt am Main war Brumlik seit den späten 1970er Jahren eine wichtige Stimme der kritischen Öffentlichkeit. Er war im Sozialistischen Büro aktiv und publizierte in deren Zeitschrift links, war Teil der Föderation Neue Linke und avancierte bei der Grünen Partei sogar zum Stadtverordneten – trat allerdings 1991 wegen deren Ablehnung von Waffenlieferungen an Israel im Angesicht von irakischen Raketenangriffen auf den jüdischen Staat aus.
Der linke, jüdische Diskurs und seine intellektuelle Geschichte war Brumliks Heimat. Gemeinsam mit anderen gründete er in den 1980ern die Jüdische Gruppe Frankfurt, deren theoretischer Output, insbesondere die Zeitschrift Babylon, bis heute bedeutend ist für alle, die sich für die Ideengeschichte deutsch-jüdischen Denkens interessieren. Brumlik bezog immer wieder öffentlich Stellung und eckte dabei nicht selten an, bis zuletzt. Mit der Jüdischen Gruppe kritisierte er die Politik Israels gegenüber den Palästinenser*innen anlässlich des Libanonkriegs 1982 vehement, revidierte aber später seinen Antizionismus und kritisierte ebenso vehement den Antisemitismus und Antizionismus in der politischen Linken. Die antisemitischen Zwischentöne des Frankfurter Häuserkampfs hatte er selbst erlebt und schilderte, wie ihm jemand mal sagte: »Ach, Micha, Du bist doch ganz anders als die ganzen anderen Juden.«. Noch später gehörte er zu den scharfen Kritiker*innen der Netanjahu-Regierung in Israel, unterzeichnete die Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus und erntete dafür erneut Unverständnis und Kritik.
Seit dem Jahr 2000 war er Professor für Erziehungswissenschaft an der Goethe-Universität und von 2000 bis 2005 Leiter des Fritz-Bauer-Instituts zur Erforschung der Geschichte und Wirkung des Holocausts und gründete später gemeinsam mit Benjamin Ortmeyer die (inzwischen leider abgeschaffte) Forschungsstelle NS-Pädagogik. Vor allem in diese Zeit fallen die zahlreichen Aktivitäten, die den AStA der Uni Frankfurt mit Micha Brumlik verbanden. Er stand dabei immer an der Seite der Studierenden und sparte auch nicht mit Kritik an Universitätsleitung: Bei geschichts- und erinnerungspolitischen Veranstaltungen ebenso wie bei studentischen Kämpfen gegen Studiengebühren oder gegen die Räumung des besetzten Instituts für vergleichende Irrelevanz. Zahllose gemeinsame Veranstaltungen zeugen davon.
Micha Brumlik war ein undogmatischer Denker, ein öffentlicher Intellektueller, ein Linker, ein zugewandter akademischer Lehrer und eine Stimme der jüdischen Tradition Frankfurts. Seine Stimme wird fehlen.
Möge die Erde ihm leicht sein.