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Zwei Papayas und ein Pflasterstein vor gelben Vielecken

Über AbtreibungsgegnerInnen und organisierten Antifeminismus

Zweimal jährlich protestieren AbtreibungsgegnerInnen mit täglichen mehrstündigen Gebetskundgebungen nahe der Beratungsstelle von pro familia in der Palmengartenstraße. Die Strategie derartiger Gehsteigbelästigungen gegenüber ratsuchenden Schwangeren ist nicht neu und wird weltweit koordiniert. Auch in Frankfurt am Main sind einige Gruppierungen des organisierten Antifeminismus ansässig.

Wie kaum ein anderes Thema schaffen es antifeministische und queerfeindliche Inhalte, Brücken zwischen (extrem) rechten, konservativen und christlich-fundamentalistischen AkteurInnen zu schlagen. Als Reaktion auf Erfolge globaler feministischer Kämpfe sieht sich diese rechte Allianz derzeit in Zugzwang und holt zum Gegenschlag aus: Die faktischen Verbote von Schwangerschaftsabbrüchen in einigen US-Staaten sind eine Facette hiervon, die Angriffe auf CSDs durch Neonazis eine andere. In Ungarn sollen Pride-Demonstrationen in diesem Jahr ganz verboten werden. Währenddessen bezeichnete der neue Kanzler Friedrich Merz im November 2024 die Forderung nach Straffreiheit für Schwangerschaftsabbrüche einen »Affront«.

Denn Abtreibungen sind auch in Deutschland nach wie vor nicht straffrei. Der Paragraf 218 des Strafgesetzbuchs regelt, dass ein Schwangerschaftsabbruch mit drei Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe geahndet wird. Der Paragraf 218a regelt Ausnahmen: Aus medizinischen oder kriminologischen Gründen kann eine Schwangerschaft straffrei abgebrochen werden, sowie innerhalb der ersten 12 Schwangerschaftswochen, sofern zuvor die Teilnahme an einer verpflichtenden Schwangerschaftskonfliktberatung sowie eine dreitägige Bedenkzeit nachgewiesen wird.

Eine solche Schwangerschaftskonfliktberatung wird unter anderem im Frankfurter Westend angeboten. Der Verband pro familia, der sich für selbstbestimmte Sexualität einsetzt, empfängt hier ratsuchende Schwangere, mit oder ohne Wunsch nach einem Abbruch. Das ruft die AbtreibungsgegnerInnen auf den Plan: Zweimal jährlich beten sie hier täglich, wochenlang. In der Fastenzeit und im Herbst belagern sie an mehreren Orten in Deutschland Beratungsstellen und Kliniken. Seit 2017 sind sie in Frankfurt aktiv.

Beratung im Belagerungszustand

Die AbtreibungsgegnerInnen nennen sich 40 Tage für das Leben. Ihre »Mahnwachen« vor der Beratungsstelle ergeben für Außenstehende ein kurioses Bild: Eine Gruppe von Menschen steht da, selten mehr als zehn Personen, dafür beharrlich, stundenlang. Sie halten Bilder von Föten hoch oder Plakate mit Aufschriften wie »Ich will leben«. Sie beten Rosenkränze, murmeln Gebete, singen Kirchenlieder. Das Konzept stammt aus den USA, wo die AbtreibungsgegnerInnen teils sehr viel rabiater vorgehen, ratsuchende Schwangere als »Mörder« beschimpfen und ihnen auflauern. Doch auch der Gang zur Beratungsstelle in Frankfurt wurde zum Spießrutenlauf für Ratsuchende. Seit einer Gesetzesänderung dürfen die Kundgebungen daher nicht mehr direkt vor pro familia stattfinden, sondern sind nunmehr zur Kreuzung Bockenheimer Landstr./Palmengartenstr. umgezogen.

Nach Deutschland kamen die Gehsteigbelästigungen über den Umweg aus Kroatien – und durch einen Fußball-Hooligan: Wie der Journalist Danijel Majić recherchierte, war es der einschlägig durch Gewaltdelikte bekannte Boris Ð., der die Gründung des deutschen Ablegers von 40 Tage für das Leben organisierte.

In Frankfurt am Main ist es vor allem der Rechtsanwalt Tomislav Čunović, der die Interessen der Initiative vertritt. 2017 gründete er den hiesigen Ableger in den Räumlichkeiten der kroatisch-katholischen Gemeinde Offenbach, deren damaliger Pfarrer den AbtreibungsgegnerInnen nahestand. Innerhalb der katholischen Kirche gelten die kroatisch-katholischen Gemeinden als traditionalistisch, bisweilen gar als fundamentalistisch.

Seit 2016 war Čunović kontinuierlich an den Gehsteigbelästigungen vor pro familia beteiligt, vertrat sie auch vor Gericht, als die Stadt Frankfurt – letztlich erfolglos – versuchte, die Kundgebungen vom Eingang der Beratungsstelle an einen anderen Ort zu verlegen. Inzwischen ist der gebürtige Bielefelder Geschäftsführer der Coalition for Life International gGmbH, die wiederum im Frankfurter Westend, unweit seiner Kanzlei, ihre Anschrift bei einem Büroservice angibt. Die Gesellschaft ist vom Finanzamt als gemeinnützig anerkannt.

Als Vertreter der Coalition for Life International gGmbH, die im Impressum der Kampagne 40 Tage für das Leben angegeben wird, war Čunović am 13. Mai 2024 sogar im Deutschen Bundestag zu Gast: Die AfD-Fraktion hatte ihn als Sachverständigen zur Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes hinsichtlich der Gehsteigbelästigungen geladen. Čunović behauptete im Ausschuss, 40 Tage für das Leben habe »weltweit bereits mehr als 24.000 ungeborene Kinder vor einer Abtreibung gerettet, weil sich die Mütter für das Kind entschieden haben«.

Dennoch passierte das Gesetz den Bundestag, die Gehsteigbelästigungen dürfen nicht mehr unmittelbar vor der Beratungsstelle stattfinden. Eine Reaktion aus dem Spektrum der AbtreibungsgegnerInnen erfolgte umgehend: Im März 2025 brachten Unbekannte den Schriftzug »Mörder« an der Fassade von pro familia an – eine neue Eskalationsstufe der rechten Aktivitäten gegen körperliche Selbstbestimmung.

Netzwerke des Antifeminismus

In Frankfurt haben, weitgehend unbeachtet von der breiteren Öffentlichkeit, bereits seit Jahrzehnten zentrale AkteurInnen des organisierten Antifeminismus ihren Sitz. Sie organisieren Gehsteigbelästigungen, eine umfangreiche Publikationstätigkeit, Kundgebungen, Symposien und Demonstrationen wie die »Demo für alle«, »Tausend-Kreuze-Märsche« oder den »Marsch für das Leben«. Damit versuchen sie Einfluss auf kirchliche Strukturen, aber auch auf Parteien zu nehmen.

So ist jährlich auf der Frankfurter Buchmesse ein Stand des hier ansässigen Vereins Deutsche Vereinigung für eine christliche Kultur e.V. (DVCK) zugegen. Am Stand ist zumeist Benno Hofschulte zu finden, Vorsitzender des Vereins und Multiaktivist des organisierten Antifeminismus. Er ist bei den Kundgebungen vor pro familia anzutreffen, bei katholisch-traditionalistisch ausgerichteten Messfeiern in der Sachsenhäuser Deutschordenskirche, und wettert auf Facebook gegen eine angebliche »Selbstzerstörung der Kirche«, ihre »Homohäresie«, vor allem aber gegen Initiativen zur Stärkung der körperlichen Selbstbestimmung von Schwangeren.

In der Deutschordenskirche, Refugium für die katholisch-traditionalistische Szene im Rhein-Main-Gebiet, fanden in den vergangenen Jahren auch schon Messfeiern zu Ehren von Donald Trump statt. Bei der dort gefeierten »Lateinischen Messe« handelt es sich um die Variante der katholischen Messfeier, wie sie vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil, das in den 1960er Jahren die Liturgie modernisierte, üblich war: Latein anstelle der Landessprache, und der Priester feiert die Messe mit dem Rücken zur Gemeinde. Deutschlandweit sind »Lateinische Messen«, die von Papst Benedikt XVI. als »außerordentliche Form der Messe« wieder zugelassen wurden, zum Anziehungspunkt von katholischen TraditionalistInnen und christlichen FundamentalistInnen geworden.

Auch der Frankfurter Publizist Mathias von Gersdorff gilt als maßgeblicher Akteur des christlichen Fundamentalismus in Deutschland. Er tritt regelmäßig auf den Großveranstaltungen der Szene deutschlandweit auf. Der Soziologe Andreas Kemper hat darauf hingewiesen, dass es neben Gersdorff auch andere Adlige sind, die den Anti-Abtreibungs-Aktivismus in der BRD vorantreiben. So etwa die CDU-Politikerin Johanna Gräfin von Westphalen, die langjährig dem Verein Christdemokraten für das Leben e.V. vorsaß, oder AfD-Politikerin Beatrix von Storch (geborene Herzogin von Oldenburg) und ihr Mann Sven von Storch. Beide gründeten im Jahr 2005 den Verein Zivile Koalition e.V. als Frontorganisation eines radikalisierten Konservatismus, die sich etwa gegen die Einführung des Betreuungsgeldes oder der gleichgeschlechtlichen Ehe richtete. Soziologe Kemper bezeichnete den Verein als »die politisch wirksamste christlich-fundamentalistische Kraft in der AfD«. Gersdorff wiederum leitet seit 2008 den deutschen Ableger des Vereins Gesellschaft zum Schutz von Tradition, Familie und Privateigentum e.V. (TFP), die im Rhein-Main-Gebiet ihren Sitz hat. Ihr Ableger TFP Student Action fiel in den letzten Jahren unter anderem durch Kundgebungen gegen Drag-Shows auf. Daneben publiziert Gersdorff regelmäßig in der Jungen Freiheit.

Was tun gegen antifeministische Allianzen?

Ob Vereine wie DVCK oder TFP, Großmobilisierungen wie »Demo für Alle« oder »Marsch für das Leben« oder Gebetskundgebungen vor Beratungsstellen für Schwangere: Der organisierte Antifeminismus kommt in verschiedenen Facetten daher. Das ruft auch Widerstand von allen, die sich für körperliche Selbstbestimmung und die Rechte marginalisierter Geschlechtsidentitäten und sexueller Orientierungen einsetzen, auf den Plan.

In Frankfurt erprobten Aktivist*innen in den vergangenen Jahren verschiedenste Strategien, um den Kundgebungen der AbtreibungsgegnerInnen nicht den öffentlichen Raum zu überlassen. Zeitweise gab es beinahe tägliche Gegenkundgebungen, lautstarke Störaktionen, lautes Trommeln oder Musizieren, aber auch kreative Formen wie »Aerobic gegen Fundis« oder »Black Metal Cornern gegen Fundis«. Mehrere Demonstrationen führten zu den Rückzugsorten der kroatisch-katholischen Gemeinden in Frankfurt und Offenbach.

Die Erfolgsbilanz fällt letztlich ernüchternd aus: Die Gehsteigbelästigungen finden noch immer statt, auch wenn sie nunmehr kraft des geänderten Schwangerschaftskonfliktgesetzes mehr Abstand einhalten müssen. Mit der absurden Beharrlichkeit der AbtreibungsgegnerInnen, die täglich mehrere Stunden zur Mittagszeit aufbringen, können es die Gegenproteste nicht langfristig aufnehmen. Umso mehr muss es Aufgabe einer feministischen Praxis sein, die AkteurInnen, die derartige Gehsteigbelästigungen und andere antifeministische Aktionen organisieren, in den Fokus zu nehmen. Recherche, Analyse und Information können hier notwendige Schritte sein, um ihr Treiben nicht unkommentiert zu lassen. Frankfurt ist ein zentraler Ort für den organisierten Antifeminismus in Deutschland, alle Antifaschist*innen und Feminist*innen müssen diese Bedrohung ernstnehmen.