
mein körper
an manchen tagen wache ich morgens auf und betrachte meinen körper mit der bewunderung, die er verdient.
ich schaue in den spiegel und sehe in das gesicht, dass das meine sein soll, auch wenn es sich nicht so anfühlt, wenn wir einander gegenüberstehen. ich und ich schauen uns an, im spiegel. nur dann kann ich mir selbst in die augen schauen – die augen, die der schlüssel zur seele sein sollen. das macht mir angst, denn an den meisten tagen finde ich dieses grau ziemlich trostlos. langweilig, belanglos. ich bin jetzt das, was man alt nennt, das, wovor ich früher immer angst hatte. Der albtraum der Jugend, der albtraum der medien. es gibt wenige alte frauen, die ich bewundert habe, als kind. alte frauen haben immer geschwärmt von ihrer Jugend, immer im rückblick, immer voller sehnsucht erzählt, wie schön sie damals waren, dass sich damals die männer noch nach ihnen umgesehen haben. sie haben dann eine fotografie dabei. um zu beweisen, dass sie einmal begehrenswert waren.
die alten frauen in filmen sehen meistens gar nicht so alt aus. sie sind verklärt, die fantasie der männer, die sich ihre körper ausgedacht haben, legt sich über sie. 60 jährige sehen aus wie 30 jährige. die brüste, der po, das gesicht. alles ist straff und an ort und stelle. so wie es sich gehört. da, wo es nicht hingehört.
an den guten tagen betrachte ich die falten in meinem gesicht voller güte. ich brauche diese güte, um sie schön zu finden. um zu sehen, dass sie richtig sind. weil ich jetzt älter bin. ich muss mich anstrengen, sie nicht zu bewerten, sie hinzunehmen als etwas normales. ich versuche mich zu erinnern, warum der körper falten schlägt. in den zeitschriften für frauen sammeln sich die tipps, diesen spezifischen vorgang der natur zu verlangsamen, so weit es geht hinauszuzögern, zu verstecken: sonnenschutz, keine grimassen, angepasste ernährung, gesichtsyoga, nicht rauchen, öle, masken, cremes. und zur not: überschminken. nie habe ich gehört, wie ein mann sich so viele gedanken um seine lachfalten macht.
ich betrachte meine hände. auch sie sind mittlerweile von falten überzogen, die haut wird fleckig. die hände sind mir vertrauter als mein gesicht. viel lieber hätte ich, dass sie der schlüssel zu meiner seele wären. sie können klavier spielen, darauf bin ich stolz. mit ihnen streichel ich die haut meiner liebsten, mit ihnen kämme ich mir selbst das haar, mit ihnen pflege ich mich und meine mitmenschen. ich koche, ich wasche, ich putze, ich arbeite mit ihnen. mit ihnen unterstreiche ich meine worte und manchmal ersetzen sie die worte, die ich nicht über die lippen bringe. ich umfasse den kopf meiner kinder und drücke sie an mich. die welt wird greifbar.
ich ziehe mein t-shirt nach oben, meine hände ertasten meinen bauch. viele jahre lang habe ich vermieden, meinen eigenen bauch anzugucken. immer, immer denke ich etwas stimmt mit mir nicht. vor allem nach den geburten. nachdem mein körper wahrhaftige wunder vollbracht hat, wurde die scham noch größer. ich verstecke diesen wunderbauch. weil weder ich noch die anderen bereit dafür sind, ihn zu sehen. denke ich. die haut sieht ungewohnt aus. ich versuche mich zu erinnern, ob ich schonmal in filmen so einen bauch wie meinen gesehen habe. ich versuche mir vorzustellen, wie ich in einem anderen leben mit dieser haut umgehen würde. in einer welt in der die menschen wüssten, wie der körper einer mutter aussieht. wäre ich dann stolz? oder, zumindest, okay? für alles was nicht läuft in meinem leben suche ich die schuld bei mir. die schuld bei meinem körper. er leistet zu wenig, er kann zu wenig. er ist nicht schön genug, er ist falsch, er macht nicht das was ich will und das was er soll.
ich habe cellulite. so wie jede frau. ich frage mich, wer uns in den kopf gesetzt hat, dass das etwas abnormales sei. dass wir diesen teil unseres körpers verstecken müssen. ich habe auch dafür eine creme in meinem badezimmerschrank. sie war sehr teuer. aber: ich bin es mir wert.
ich gehe nicht gerne in die sauna. und wenn ich gehe, dann lasse ich meinen blick nicht auf die körper der anderen. ich mag die zeichnungen, auf denen nackte frauen abgebildet sind. davon gibt es viele. sie geben mir trost und sie faszinieren mich. ich darf sie anschauen, weil sie kunst sind. aber es ist nicht das gleiche. die meisten von ihnen haben männer gemalt.
ich mag es, campingurlaub zu machen. die natur überschattet den menschlichen schönheitswahn. aufeinmal gibt es kaum noch spiegel. es gibt nur das wasser in dem wir schwimmen und uns kindlich kreischend den kleinen ball zu werfen. ich sitze im flachen wasser, ich betrachte meine beine und bin fasziniert, wie die wassertropfen über die glitzernde haut gleiten. ich verschmelze mit dem see und erinnere mich daran, dass ich früher träumte eine meerjungfrau zu sein. als jugendliche konnte ich nicht einmal diese, jetzt so kostbaren, momente genießen. ich war zu sehr beschäftigt die körper anderer frauen zu beobachten. da! eine falte. da! cellulite. ich war erleichtert, sie war dicker als ich.
es ist ein kampf, körper als körper zu erkennen. nur als körper. ihnen die relevanz in der schönheit zu nehmen, umzukneten, dann wiederzugeben. heute achte ich nicht mehr auf die falten anderer körper. höchstens, wenn ich ein junges mädchen sehe, dass die arme vor dem körper verschränkt, die blicke huschen unauffällig über die fremde und die eigene haut. sie ist nicht gerne nackt. sie verpasst die situation, weil sie sich fragt, ob sie schön genug ist.
ich habe eine tochter. sie ist klein und voller babyspeck. ich liebe das. in ein paar jahren wird auch sie sich fragen, ob sie schön ist.
an manchen tagen wache ich morgens auf und schmiere mir zwei mal täglich anti-falten-creme ins gesicht.