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Logo der Ausstellung "Leerstand & Utopie"

Die Kämpfe um den Campus Bockenheim

Man muss kein*e Student*in sein, sich auf dem Gebiet der Stadtforschung bewegen oder sich gar dem städtischen Aktivismus verschrieben haben, um mit dem Konstrukt »Campus Bockenheim« etwas anfangen zu können. Es reicht völlig aus, in Frankfurt zu leben und hier und da einen Blick in die hiesigen Gazetten zu werfen. Ist dem so, so hatte man in den vergangenen zwei Jahrzehnten reichlich Gelegenheiten, das fulminante Spektakel auf dem Gründungscampus der Goethe-Universität (GU) zu verfolgen. Eine durchaus spannende Geschichte; es geht um internationalen Investor*innen, spektakuläre Sprengungen, gigantische Neubauten, luxuriöse Apartments und viele sich die Hände reibende Politiker*innen und Stadtplaner*innen. Doch fürchtet nicht ihr Kritiker*innen der unersättlichen neoliberalen Expansion: »(…) Öffentlicher Raum wird geschaffen, in dem Menschen sich begegnen und gerne aufhalten«. So beschreibt es zumindest das verantwortliche Architekt*innenbüro, das für das Konglomerat aus Wohnturm und Luxushotel verantwortlich ist, für das der traditionsträchtige AfE-Turm im Jahr 2014 hatte weichen müssen. Auch um diese der Realität entflohenen Aussage einordnen zu können, muss man kein*e Akademiker*in oder Verfechter*in städtischer Zivilpolitik sein. Denn ganz offensichtlich hat diese Geschichte auch eine Kehrseite; natürlich heißt »internationale Investor*innen«, dass zivilgesellschaftliche Interessen vor Ort in den Hintergrund rücken, natürlich heißen »spektakuläre Sprengungen«, dass graue Energie verloren geht, natürlich heißen »gigantische Neubauten«, dass Zwischen- und Pioniersnutzungen nicht erwünscht sind, natürlich heißen »luxuriöse Apartments«, dass bezahlbarer Wohnraum und finanzschwache Bevölkerungsschichten verdrängt werden und natürlich, am aller deutlichsten, hat es für die lokale Zivilbevölkerung nie etwas Gutes geheißen, wenn sich Politiker*innen und Stadtplaner*innen so stark die Hände reiben, dass der dabei entstehende Rauch quasi von ganz alleine das Wort »Gentrifizierung« formt. 

Trotz dieser von oben auf den Campus wirkenden Kräfte ist die Situation nicht aussichtslos. Im Gegenteil, seit Beginn des Wegzugs der GU an den prestigehaften Standort auf dem neu entstandenen Campus Westend stehen zahlreiche Akteur*innen und Initiativen aus der Zivilgesellschaft dem »Ausverkauf« des Campus Bockenheim gegenüber. Sie vernetzen und engagieren sich, protestieren, setzen sich zur Wehr, führen Kämpfe und treiben in unvergleichlichem Maße Utopien voran, die den Campus Bockenheim als lebhaften, partizipativen und solidarischen Raum sehen. Um jene andere Seite der Geschichte des Campus Bockenheim zu dokumentieren, die von unten ausgestaltet wird, aus Sicht der Zivilgesellschaft, der Student*innen und der zahlreichen Aktivist*innen, ist die Ausstellung »Leerstand und Utopie. Die Kämpfe um den Campus Bockenheim« entstanden. Initiiert durch ein Forschungsseminar im Masterstudiengang Humangeographie, das den Campus Bockenheim und die verschiedenen involvierten Akteur*innen in sein Zentrum gerückt hat, wurde der Ansatz verfolgt, dass hier mehr als nur ein wissenschaftliches Dokument erzeugt werden soll, welches dazu verdammt ist, im Äther der Bedeutungslosigkeit studentischer Arbeiten zu versinken. Vielmehr, so der Ansatz, war es der Anspruch so eng wie möglich mit den Initiativen auf dem Campus zusammenzuarbeiten und in Abstimmungen mit deren Wünschen und Ansprüchen ein Endergebnis zu produzieren, von dem vor allem die Akteur*innen selbst profitieren können. In vielen gemeinsamen Gesprächen zwischen Student*innen und Aktivist*innen kristallisierte sich so zunehmend der Wunsch nach mehr Aufmerksamkeit und das Sichtbarmachen der Situation auf dem Campus heraus. Mit dem visuell leicht zugänglichen und vielseitigen Medium »Ausstellung«, so einigte man sich, könnte dies sinnvoll verwirklicht werden. Es folgten erneute intensive Gespräche, Austauschprozesse und Plenarbesuche, um in Zusammenarbeit mit den Initiativen passende Exponate herauszusuchen oder gar gänzlich neue zu erschaffen. 

Von den vielen Initiativen, die für eine Zusammenarbeit angefragt wurden, haben sich folgende dazu entschieden zu partizipieren und werden somit in der Ausstellung repräsentiert: die ada_kantine, das Archiv der Revolte, die Initiative Druckerei für Alle!, die Feministische Bibliothek, die Initiative Dondorf Druckerei, das Institut für Sozialforschung, das Offene Haus der Kulturen und das Stadtteilbüro Bockenheim. Ohne die Offenheit dieser Initiativen und der Bereitschaft, sich an der Ausstellung zu beteiligen, hätte das Vorhaben so nicht stattfinden können. 

Aus diesen Kooperationen entstanden ist eine bisher einzigartige Dokumentation über die komplexen Spannungsverhältnisse und Akteur*innen auf dem Campus Bockenheim. Auf 14 Ausstellungstafeln werden die Kämpfe der verschiedenen Initiativen und Akteur*innen um die Nutzung des Campus Bockenheim und ihre Utopien für das Gelände aufgezeigt. Dabei geht es aber auch um das großflächige Campusgelände und die verschiedenen vorherrschenden Interessenskonflikte. Hier, wo so viel Leerstand herrscht, stehen sich Aktivist*innen, Stadtteilbewohner*innen, Wissenschaft, Immobilien- und Gewerbetreibende sowie Politiker*innen in ihren Zukunftsvisionen teils diametral gegenüber. Genau hier setzt die Ausstellung »Leerstand und Utopie. Die Kämpfe um den Campus Bockenheim« an und will Licht ins Dunkle bringen. Stadtplanerische Prozesse, die Entstehung von Leerstand und Nutzungskonflikte; Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft werden im Nexus des Campus dokumentiert und eingeordnet. Die Ausstellung erklärt, wieso viele Gebäude auf dem Campus von Leerstand betroffen sind, wieso in anderen wiederum exklusive und überteuerte Luxusapartments eingezogen sind und welche Vorstellungen die verschiedenen Akteur*innen für die jeweiligen Gebäude haben. So zeigt die Ausstellung auf, wie der Campus Bockenheim zu einem umkämpften Gebiet wurde, welche Zukunftsvorstellungen existieren und welche Utopien bereits gelebt werden. Der Aufbau und die Anordnung der Exponate orientieren sich dabei an einigen der signifikantesten Gebäude auf dem Campus, um dadurch ein räumliches Gefühl für das Areal herzustellen und die Ausstellung noch erlebbarer zu machen. Besucher*innen der Ausstellung können sich zwischen dem Juridicum und der ehemaligen Kunstbibliothek, dem Philosophicum, dem Studierendenhaus, der Dondorf Druckerei und dem Gebäude der ehemaligen Akademie der Arbeit bewegen. Hier erfahren sie etwas zu den Gebäuden selbst, welche planungsgeschichtliche Vergangenheit und historische Bedeutung sie innehaben, wieso sie möglicherweise leer stehen und welche Initiativen sich mit ihnen befassen oder sogar aus ihnen heraus agieren. Dabei richtet die Ausstellung ihren Blick auch stets auf das noch zu kommende; zeigt auf, welche aktuellen Konflikte um die zukünftige Nutzung es für die verschiedenen Gebäude gibt. Somit stellt sich die Ausstellung kontinuierlich die Frage: »Wem gehört der Raum?«

Durch das Transportieren dieser Inhalte will die Ausstellung selbst zu einem lebhaften Raum des Austauschs, der Diskussion und des utopischen Denkens werden. Dabei konnten bereits erste Erfolge erzielt werden und ein Austauschprozess zwischen Aktivist*innen und Vertreter*innen der städtischen Kunsthalle Schirn initiiert werden, um die zukünftige Zwischennutzung der leer stehenden Dondorf Druckerei auszuhandeln. In diesem Sinne agiert die Ausstellung als ein Werkzeug der Aufklärung und Sichtbarmachung; ohne sie wäre es vermutlich nicht zu dem Dialog beider Parteien gekommen. Eine essenzielle Eigenschaft als ein solches Instrument der Sichtbarmachung liegt zudem in der Gestaltung der Ausstellung im Pop-up-Format; schnell auf- und abbaubar, gänzlich oder in Teilen transportierbar, zeichnet die Ausstellung eine fast grenzenlose Mobilität aus. Dadurch, so die Idee, können die Kämpfe und Utopien um den Campus Bockenheim auch über diesen hinaus Wirkung erzielen, können auf Tagungen, Plenarsitzungen oder sonstigen Veranstaltungen präsentiert werden. Nicht nur die Ausstellung gewinnt somit an Mobilität, auch die Dokumentation der Nutzungskonflikte und die Sichtbarmachung des unaufhörlichen Engagements der Initiativen löst sich so aus den Grenzen des Campusgeländes und kann über diesen hinaus erfahrbar gemacht werden. So wurden beispielsweise Teile der Ausstellung bereits für ein Protestcamp zum längst überfälligen Bau des Studierendenhauses auf dem Campus Westend genutzt. Hier zeigt sich das Potenzial des Pop-up-Formats. 

Die Ausstellung »Leerstand und Utopie. Die Kämpfe um den Campus Bockenheim« lädt alle Leser*innen dazu ein, sich selbst ein Bild über das Geschehen auf dem Campus Bockenheim zu machen und sich über die zivilgesellschaftliche Bedeutung der vielen Initiativen bewusst zu werden. Denn im Gegensatz zu der realitätsfernen Aussage der Luxusarchitekt*innen schaffen die Initiativen auf dem Campus Bockenheim tatsächlich öffentliche Räume, in denen jede*r Zugang hat, sich Menschen begegnen können und ein Miteinander ermöglicht wird, das ganz unabhängig von der Größe des Geldbeutels funktioniert.…

Liebe Grüße,

das Kurator*innenkollektiv.

PS

Die Ausstellung kann in Gänze auf der Website »leerstandundutopie.de« digital angesehen werden und für News und Updates empfiehlt sich der Instagram-Account »leerstand_und_utopie«.

 


 

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