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Gartenzwerg mit "Heimat"-Schild

Hoffnung und Widerstand gegen den gesellschaftlichen Bann bei Adorno und Bloch

Wir mögen nicht wissen, was der Mensch und was die rechte Gestaltung der menschlichen Dinge sei, aber was er nicht sein soll und welche Gestaltung der menschlichen Dinge falsch ist, das wissen wir, und einzig in diesem bestimmten und konkreten Wissen ist uns das Andere, Positive, offen. (Theodor W. Adorno)

Als Adorno und Horkheimer im 20. Jahrhundert von der verwalteten Welt, der allumfassenden Verdinglichung, dem universalen Block oder dem gesellschaftlichen Bann sprachen, waren sie sich dem Ausmaß der Unfähigkeit zur Emanzipation unserer aktuellen Gesellschaft wohl kaum bewusst. Mit fast hellseherischer Fähigkeit antizipiert die Kritische Theorie eine gesellschaftliche Form der Repression zur Unmündigkeit und Gleichgültigkeit, wie sie sich gegenwärtig in Krisensituationen zu verhärten scheint. Den Ausweg kennt niemand, doch diesen muss auch niemand wahrhaft erkannt haben. Die Möglichkeit einer nicht gleichgültig gewordenen Welt scheint in den Subjekten nur als Verneinung ihres jetzigen Zustandes empor. Die mögliche Welt, das nach Ernst Bloch so schön benannte »Noch-Nicht-Daseiende«, kann nur aus der Negation einer verkehrten Gestalt der Wirklichkeit hervorgebracht werden. Adorno gibt dem Verfahren des Widerstands gegen soziale Negativität und verdinglichte Verhältnisse der verhärteten Gleichgültigkeit in den Menschen einen Namen: bestimmte Negation. Widerstand ist als Form in der bestimmten Negation aufgehoben und bereitet heimlich die Emanzipation vor, welche sich alle so sehr wünschen. Sobald der schlechte Zustand negiert und von den Subjekten nicht mehr akzeptiert wird, bereitet sich ein Moment der Hoffnung auf Transformation vor, was insgeheim darauf verweist, wie die Verhältnisse in Wahrheit auszurichten wären, ohne direkt darauf hinzuweisen. Im Gegensatz zur Affirmation – man müsse ja wissen, wie die mögliche Welt ohne verhärtete Bedingungen auszusehen habe – bietet die bestimmte Negation das Verfahren, welches es schafft, Möglichkeiten automatisch aus sich heraus aufschimmern zu lassen, ohne sie direkt benennen zu müssen. Denn Adorno war streng der Auffassung, dass wir der möglichen Welt einen Zwang auferlegen, sobald wir sie affirmativ benennen und klar ausdrücken, was an der Zeit wäre. Vielmehr möchte er das Nichtidentische anerkennen und das unverfügbare Moment der Hoffnung bewahren, was allein in der Negation des Bestehenden aufgehoben liegt. Wenn in keiner affirmativen Form benannt wird, wie der Ausweg auszusehen habe, sondern im Moment des Widerstands gegen schlechte Verhältnisse aufmerksam gemacht wird, dann kann indirekt aufgezeigt werden, dass es anders werden solle, ohne mit einem Zwang direkt zu definieren, wie die Verhältnisse nicht-entfremdeter oder nicht-verdinglichter Gestalt in der Demokratie aufgestellt sein müssten. Der gesellschaftliche Bann fesselt die Subjekte, ohne dass sie es merken. Unter der Verblendung schlummert aber heimlich die Hoffnung, das Leiden zu spüren und erfahrbar zu machen. Schon in der Negativen Dialektik erwähnt Adorno die »inwendige Reflexionsform des Leidens«, welche das Subjekt erfährt. Nur die Selbstreflexion und Vergewisserung eines Zustands, welcher sich so anfühlt, als wäre die Titanic gerade dabei zu sinken, mutet den Menschen noch ein Moment der Hoffnung zu, ohne in der gleichgültigen Schockstarre zu verweilen, sondern sich wahrhaft einer Emanzipation der Verhältnisse zu verschreiben. Doch dies gelingt nur in Form eines Widerstandes: der bestimmten Negation.

Die Kritische Theorie ist vielerorts in den Seminaren der Universität ausgestorben und ihre Ideen damit ebenfalls. Doch es muss gelingen, eine Revitalisierung der Modelle, wie sie so enthusiastisch von Horkheimer und Adorno geprägt wurden, wieder aufflackern zu lassen. Einzig und allein im Anstoß einer neuen Energie von Ideen der Kritischen Theorie der Gesellschaft kreist noch ein Impuls von Hoffnung im Nimbus des ewig sich selbst verdinglichenden Lebens einer Krisengesellschaft. Doch wo soll diese Hoffnung sein? Wie kann sie den Bann lösen, ohne sich selbst wieder zu verkehren? Romantisiert erscheint die Blochsche Idee der Heimat. Doch jene lässt sich erspüren und auf Spurensuche (so auch der Titel einer Aphorismensammlung des Denkers) ertasten. In kleinen Momenten unseres Lebens können wir etwas von dem Gefühl erhaschen, dass das Mögliche und Bessere immer anwesend ist. Allein weil Zukunft und Vergangenheit jederzeit in die Gegenwart hineinstrahlen, wie Friedrich Nietzsche es in Also sprach Zarathustra mit den sich kreuzenden Wegen am Tor der Zeit deutlich machte, kann das Mögliche in der Gegenwart als Idee erscheinen. Nur durch die gegenseitige Verschränktheit der Zeiten miteinander können wir noch den Impuls in uns spüren, dass es auch andere Formen gibt, in welchen sich die Gesellschaft reproduzieren wird. Jene sind in kleinen Momenten unseres Lebens spürbar und es gilt, sie zu Bewusstsein zu rufen. Die bestimmte Negation lässt dann die Hoffnung aufflackern, von der man schon wusste, ohne sie sich zu vergegenwärtigen. Doch jene war anwesend, jedes wirkliche Moment bedingt ein mögliches. Heimat wird zu dem möglichen Gefühl, das man sich wünscht und immer da war: zu einem Ursprünglichen. 

Sobald es zu Bewusstsein kommt, vermag jemand etwas der Blochschen Idee abgewinnen zu können, und Goethe entlarvt sich ebenfalls als Romantiker, wenn klar wird: Liebe hält die Welt im Innersten zusammen. Doch sie scheint nicht einfach so, sondern baut sich über die Selbstvergewisserung des Subjekts auf, die den Zustand der Negativität negiert, weil sie sich selbst Rede und Antwort steht.

Am Ende kommt man zu sich und weiß nicht, wohin man möchte, denn in Zeiten des Krieges liegt alles im Nebel. Dann sehnen sich Menschen nach etwas, das in der Utopie des Vernunftbegriffs aufgehoben liegt: Geborgenheit und Solidarität; eine Hoffnung auf eine anders mögliche und bessere Welt. 

Am Ende des ewig langen Sandstrands von Krisen über Krisen beginnt ein Hafen aufzuschimmern, er heißt: Heimat.