
Im Schatten der Tradition
Ankündigung eines Sammelbands zur Geschichte des IfS aus feministischer Perspektive
Das Frankfurter Institut für Sozialforschung (IfS) hat im letzten Jahr sein 100-jähriges Jubiläum gefeiert. Dieser Anlass und die damit einhergehende erhöhte Aufmerksamkeit für das Institut machten erneut deutlich, dass dessen Geschichte in der Regel anhand der Biografien und Werke männlicher Protagonisten erzählt wird. In seiner gängigen Geschichtsschreibung erscheint das Institut so als Ort einer intellektuellen Tradition, in der weder Frauen noch Fragen der Geschlechterverhältnisse eine Rolle spielen.
Der vorliegende Band wendet sich gegen diese androzentrische Ausblendung der Tätigkeiten von Frauen am und im Umfeld des Instituts und wirft demgegenüber eine dezidiert feministische Perspektive auf die Institutsgeschichte. Er möchte damit eine andere Sichtbarkeit herstellen, einiges von dem erhellen, was bislang im Schatten oder ganz verborgen blieb.
Die versammelten Beiträge nehmen hierzu Personen in den Blick, die in den gängigen Narrativen nicht vorkommen und deren Ausblendung oder Abwertung die institutionelle Entwicklung, Etablierung und Weiterentwicklung des Theorieprogramms, das von Dritten später als »Frankfurter Schule« bezeichnet wurde, als Geschichte von Männern erscheinen lassen. Dadurch soll einerseits vergegenwärtigt werden, dass das IfS von Beginn an Frauen in die Forschung eingebunden hat und dass zu verschiedenen Zeitpunkten geschlechtertheoretische Überlegungen am Institut entwickelt wurden, die in Verbindung zu politischen Debatten standen. Andererseits soll damit keineswegs die strukturelle Exklusion von nicht-männlichen Wissenschaftler*innen in der akademischen Arbeit geleugnet werden – ganz im Gegenteil lässt sich anhand der Rekonstruktion der biografischen Wege der am und im Umfeld des IfS tätigen Wissenschaftlerinnen verdeutlichen, mit welch vielschichtigen institutionellen Beschränkungen Frauen bis weit ins 20. Jahrhundert in ihrer wissenschaftlichen Arbeit konfrontiert waren. Der Band beleuchtet solche ambivalenten Ein- und Ausschlüsse von Frauen im Allgemeinen und am Institut im Besonderen und eröffnet damit eine Gegenerzählung zur dominanten Geschichtsschreibung des IfS, in der gerade jene, die trotz der widrigen Bedingungen dort wissenschaftlich arbeiteten, gleichsam nachträglich exkludiert wurden.
Die Beiträge des Bandes nehmen in chronologischer Reihenfolge die verschiedenen Phasen der Institutsgeschichte in den Blick. Der erste Beitrag von Judy Slivi beleuchtet die Biografien und wissenschaftlichen Tätigkeiten von Frauen in der Frühphase des Instituts für Sozialforschung, beginnend mit den bislang kaum erforschten Teilnehmerinnen der so genannten Marxistischen Arbeitswoche, dem ersten Theorieseminar des neugegründeten Instituts, das 1923 in Geraberg in Thüringen stattfand. Christina Engelmann rekonstruiert die verschiedenen Verbindungslinien des IfS zur Arbeiter- und proletarischen Frauenbewegung. Im Fokus steht dabei die Freundschaft zwischen dem Gründer des Instituts, Felix Weil, und der kommunistischen Feministin Clara Zetkin, die ihn politisch stark prägte und darüber auch das frühe Programm des Instituts mitbestimmte, das sich der wechselseitigen Bezogenheit von kritischer Gesellschaftstheorie und gesellschaftspolitischen Engagement verpflichtet sah. Veronika Duma zeigt die Verbindungen des IfS zur österreichischen Pionierin feministisch-materialistischer Sozialwissenschaft Käthe Leichter auf, die in ihrer Funktion als Leiterin des Frauenreferats der Arbeiterkammer im »Roten Wien« maßgeblich an der Erforschung und Verbesserung der Lebenssituation von Arbeiterinnen teilhatte und in den 1930er Jahren an den Studien über Autorität und Familie mitarbeitete. Wie Geschlecht und Familie im Institutskontext der 1930er Jahre zum Gegenstand der Forschung wurden, untersucht Barbara Umrath in ihrem Beitrag und stellt anhand der Studien über Autorität und Familie heraus, dass eine differenzierte Auseinandersetzung mit Geschlechterverhältnissen gerade von Personen erfolgte, die eher am Rande des Instituts tätig waren.
Karin Stögner beleuchtet die Forschungsarbeiten und hochgradig aktuellen geschlechtertheoretischen Überlegungen von Else Frenkel-Brunswik im Kontext der Studien zum autoritären Charakter. Bruna Della Torre untersucht den Briefwechsel zwischen Elisabeth Lenk und Adorno und arbeitet heraus, welchen Einfluss die Diskussionen mit Lenk auf die ästhetische Theorie Adornos hatte. Bea Ricke beleuchtet die empirischen Studien zur Frauenarbeit, die in den 1970er und 1980er Jahren am Institut durchgeführt wurden, und stellt ihre Relevanz innerhalb der Herausbildung der feministischen Frauen- und Geschlechterforschung in der Bundesrepublik heraus. In seinem Beitrag reflektiert Stephan Voswinkel über das Verhältnis der Frauen- und Geschlechterforschung am IfS in den 1970er und 1980er Jahren zur damals am Institut vorherrschenden männlich geprägten Industriesoziologie. Lena Reichhardt verdeutlicht in ihrem Beitrag, dass die feministischen empirischen Arbeiten am und im Umfeld des IfS ohne die Impulse durch und die Verankerung der Forscherinnen in der feministischen Bewegung der späten 60er und frühen 70er Jahre nicht denkbar gewesen wären – die Debatten der Neuen Frauenbewegung waren wesentlich für die feministische Revisionen empirischer Sozialforschung und kritischer Gesellschaftstheorie. In ihrem Essay stellen Sarah Speck und Stephan Voswinkel einige rahmende Überlegungen zu Ausblendungen und unsichtbarer Arbeit am IfS an und beleuchten die Paradoxien einer Kritik der Sichtbarkeitsverhältnisse im Vollzug, sowie die Notwendigkeit ihrer Überschreitung. Der Band schließt mit einem Gespräch aus dem AK Gender, Kinship, Sexuality, das Einblick in aktuelle Arbeiten und Diskussionen im Feld feministischer Theorie und Geschlechterforschung am Institut gibt.