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Mehrere Personen, verbunden durch rote Linien und Punkte

Arbeit kann berauschen wie eine Droge – und doch gilt der Arbeitssüchtige als Vorbild. Jörg Rohrbach spürt dem paradoxen Glück des Tuns nach, das zugleich erfüllt und verzehrt.

Arbeit ist der Gegensatz zur Freizeit, die Möglichkeit, in Interaktion mit anderen Menschen zu treten, die Pflicht im Dienst der Gesellschaft, eine Anstrengung im Tausch gegen Lohn. Arbeit schafft Zufriedenheit, stiftet Sinn im Leben und stärkt die Autonomie. Jenseits dieser ökonomischen, sozialen und individuellen Funktion kann Arbeit auch ein kaum beachtetes Phänomen hervorbringen: den Rausch. Rausch wird oft mit Flucht vor der Realität assoziiert, sei es durch Drogen, Alkohol oder das Eintauchen in exzessive Freizeitaktivitäten. 

Bereits die antike Vorstellung der areté, der Tugend und Exzellenz des eigenen Tuns, verweist auf eine Dimension der Arbeit, die über das bloße Müssen hinausgeht. Menschen, die ihre Tätigkeit mit innerer Überzeugung und ganzer Hingabe ausführen, kennen diesen Zustand, in dem das Selbst mit der Aufgabe verschmilzt. Diese Menschen befinden sich in einem Flow, ein Zustand totaler Konzentration, bei dem der Mensch so in seine Aufgabe vertieft ist, dass er seine Umgebung und die Zeit vergisst. Flow ist aber auch ein Zustand der Zeitlosigkeit, bei dem die Zeit wie im Flug vergeht und sich die Stunden anfühlen wie Minuten. Flow ist darüber hinaus auch ein Zustand tiefster Zufriedenheit, denn die Tätigkeit wird als lohnend und motivierend erlebt. 

Der Flow bekommt rauschhafte Qualitäten: eine gesteigerte Wahrnehmung, das Ausblenden von Müdigkeit, Hunger oder Schmerz. Es ist als würde der Körper unter dem Einfluss körpereigener Drogen – Dopamin, Serotonin, Endorphine – stehen. Im Rausch arbeitet der Mensch oft tagelang an seiner Idee und muss doch irgendwann in die reale Welt zurückkehren, wie aus einem Delirium.

Besonders in kreativen Berufen, in Wissenschaft und Kunst, lässt sich der Arbeitsrauch beobachten. Es beginnt oft schleichend: eine Idee, ein Impuls, ein Problem, die Suche nach Lösungen. Dann kommt es zum Exzess: Schlaf wird nebensächlich, Nahrung zweitrangig, soziale Kontakte unwichtig. Der sich in einem Rausch befindliche Mensch ist ganz in seinem Werk – manchmal sogar bis hin zur Selbstaufgabe. Der Rausch wird einerseits zum schöpferischen Feuer und andererseits aber auch zu einer zerstörerischen Selbstverbrennung. Der Mensch wird zum eigenen Brandstifter. Der Körper sendet Warnsignale – Schlafstörungen, Erschöpfung, Reizbarkeit – doch die Warnsignale verhallen im Lärm der To-do-Listen. Am Ende steht der Burnout, bei dem die Flamme, die eben noch beflügelt hat, den Menschen völlig verzerrt. Burnout ist jedoch keine Schwäche, sondern ein Hilferuf einer Gesellschaft, die vergessen hat, dass Wert nicht nur durch Produktivität entsteht. 

Der Arbeitsrausch kann süchtig machen. Ein Workaholic arbeitet nicht mehr, weil er will, sondern weil er muss. Gefördert wird der Arbeitsrauch durch die ständige Pflicht zur Erreichbarkeit der Arbeitnehmer, wodurch Arbeit, Freizeit, Urlaub und Privatleben miteinander verschwimmen: Smartphones, Internet, Cloud-Dienste, Homeoffice und die Projektarbeit ermöglichen permanente Verfügbarkeit. Der Arbeitsrausch wird zum Erwartungswert. Und wie reagiert das Umfeld auf den Süchtigen? Die Mitmenschen wenden sich nicht angewidert vom Betroffenen ab, wie so oft bei Alkohol- oder Drogensucht, sondern belohnen sogar diese Form der Abhängigkeit, und zwar mit Anerkennung, Status und mit Geld. 

Arbeit avanciert für den Süchtigen zur Ersatzreligion. Der Tempel dieser Religion ist der Büroraum, das Labor, seine Liturgie sind die Meetings, Deadlines und Zielvereinbarungen. Diese Art der Religion hat auch seine eigene Spiritualität. Für viele Menschen ersetzt sie Sinn, Gemeinschaft und Identität. Fragt man jemanden: »Wer bist Du?« wird oft geantwortet: »Ich bin Designerin, ich bin Entwickler, ich bin Managerin.« Das Selbst wird durch Arbeit definiert. 

Wie kann man den Arbeitsrausch zähmen, ohne ihn zu verlieren? Den Rausch per se zu verdammen ist engstirnig, denn er ist sehr oft Motor großer Werke, tiefer Erkenntnisse und persönlicher Transformation. Der Rausch verlangt nach Maß, nach Reflexion, nach bewusster Einbettung. Sophrosyne, die Tugend der Mäßigung, nannten das die alten Griechen. Es ist eine neue Ethik der Arbeit notwendig, die Raum für Ekstase lässt, aber auch Raum für Erholung. Selbstfürsorge wird nicht zum Luxusgut, sondern wird Teil unserer Arbeitskultur. Diese neue Ethik fördert die Kreativität und beutet nicht aus. Sie reduziert den Menschen nicht auf seine Leistung, sondern erkennt seine Würde in der Tätigkeit. Dadurch kann der Arbeitsrausch zu einer Form des erfüllten Lebens werden und nicht zu einer Ersatzdroge einer entfremdeten Existenz.