
Ziviler Ungehorsam und antifaschistische Ohnmacht
Im Jahr 2024 hatten Proteste gegen rechts Hochkonjunktur. Im Frühjahr rollt die »größte Protestwelle in der Geschichte der Bundesrepublik« durchs Land. Tradierte Bündnisse und neue Allianzen kommen auf der Straße zusammen. Die extreme Rechte schwelgt in einem Hochgefühl, während sich im antifaschistischen Lager Ohnmacht breit macht. Was es jetzt braucht ist ein antifaschistisches Comeback.
Im Frühjahr 2024 erlebte Deutschland eine beispiellose Welle des Protests gegen rechts. Empörung machte sich breit auf den Straßen und Plätzen im Land. In Städten wie Berlin, Leipzig und Hamburg versammelten sich Hunderttausende unter dem Slogan »Wir sind die Brandmauer«. Vielerorts wehten Fahnen von Gewerkschaften, zivilgesellschaftlichen Initiativen, Kulturinitiativen und auch die von Parteien neben denen von lokalen Antifagruppen, auf denen das Logo der antifaschistischen Aktion prangte. Der Leitspruch »Nie wieder Faschismus« erfuhr eine neue Wendung: »Nie wieder ist jetzt«.
Einer Analyse des Berliner Instituts für Bewegungs- und Protestforschung zufolge waren die Demonstrationen gegen Rechts zu Beginn des Jahres die »größte Protestwelle in der Geschichte der Bundesrepublik«. Zwischen Mitte Januar und Ende März 2024 waren rund 3,6 Millionen Menschen auf den Straßen. Auch abseits der Metropolen versammelten sich zeitweise fast täglich Menschen für Kundgebungen und Demonstrationen. Den Moment ließen sich auch Politiker:innen nicht entgehen. Selbst Bundeskanzler Olaf Scholz erschien auf einer Kundgebung Mitte Januar in Potsdam.
Parolen wie jene »Alle zusammen gegen den Faschismus« hallten durch die Republik. Mancherorts wurde auf Bannern gar das »Antifajahr 2024« ausgerufen. Doch neben Gefühlen der Stärke und Hoffnung machte sich in der antifaschistischen Bewegung schnell auch Skepsis breit. Ist im Kampf gegen die extreme Rechte mit Massenprotesten wirklich was gewonnen? Was bleibt von den Protesten, wenn die Welle abebbt? Insbesondere im Osten des Landes drängte sich Vielen die Frage auf, ob das viel beschworene »Wir sind mehr« tatsächlich noch überall gilt.
Rechtes Taumeln im Hochgefühl
Anlass für die landesweiten Proteste war eine Veröffentlichung der Medienplattform Correctiv. In ihrem Bericht »Geheimplan gegen Deutschland« berichteten sie von einem rechten Vernetzungstreffen im Landhotel Adlon bei Potsdam. AfD-Politiker, Neonazis, Mitglieder der CDU und Werteunion sowie finanzstarke Unterstützer:innen der extrem Rechten sollen dort über millionenfache Vertreibung nach rassistischen Kriterien diskutiert haben. Bundesweit wurde der Bericht von Correctiv medial aufgegriffen. Martin Sellner, Posterboy der selbsternannten ›Identitären Bewegung‹ und »Remigrations«-Stichwortgeber, inszenierte die mediale Öffentlichkeit anschließend als einen Erfolg.
Für Faschist:innen aller Couleur wurde »Remigration« in der folgenden Zeit verstärkt zum Kampfbegriff. Ein Euphemismus für die Forderungen nach Massenvertreibungen. Die AfD-Thüringen plakatierte im Wahlkampf etwa »Sommer, Sonne, Remigration«. Der bayerische AfD-Landesverband beschloss im November eine »bayerische Resolution für Remigration«. Für die AfD-Jugendorganisation »Junge Alternative«, die selbst dem Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem gilt, soll 2025 »Remigrationsjahr« werden. Und auch im Wahlprogramm der AfD ist der Begriff seit dem AfD-Bundesparteitag im thüringischen Riesa gesetzt. Zuletzt wurde nach dem Auffliegen der selbsternannten »Sächsischen Separatisten« auch die unvermeidliche Liaison zwischen der AfD und dem rechtsterroristischen Milieu erneut sichtbar.
Derweil ist der Drift nach Rechts vielerorts auch im Alltag spürbar. Angriffe auf linke Aktivist:innen und auf Politiker:innen sorgen wiederholt für Schlagzeilen. Kader der neonazistischen Kameradschaftsszene und ihr heranwachsender Nachwuchs in Springerstiefeln und Londsdale-Shirt lassen Erinnerungen an die 90’er wieder aufleben. Auf zahlreichen CSD’s kommt es im Sommer 2024 zu etlichen Bedrohungsszenerien. Erstmals benötigten CSD-Veranstaltungen so andauernd Schutz und antifaschistische Mobilisierung.
Bei den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg erzielte die AfD Ergebnisse rund 30 Prozent. In Thüringen wurde die Partei mit fast 33 Prozent sogar stärkste Kraft. Auch aktuelle Wahlprognosen verheißen nichts Gutes. Mit rund 20 Prozent könnte die AfD als zweitstärkste Kraft bei der kommenden Bundestagswahl in den Bundestag einziehen. Auch nach den Massenprotesten im letzten Jahr sind Wahlergebnisse und -prognosen der AfD nach wie vor hoch.
Die neue rechte Mitte
Der progressiven Linken fehlt es an parlamentarische Vertretung. Warnten jahrelang vor allem Akteur:innen aus der Zivilgesellschaft und antifaschistischen Praxis vor den Gefahren der AfD, macht es heute zumindest auf den ersten Blick den Anschein, man habe in Sachen Gefahrenanalyse Fortschritte gemacht. War der Diskurs um die AfD in den vergangenen Jahren eher zaghaft, sprechen nun sogar auch Politiker:innen von Parteien der sogenannten bürgerlichen Mitte von Faschismus. In Reaktion auf den Correctiv-Bericht äußerte sich beispielsweise Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis90/dieGrünen) auf einer Kundgebung in Potsdam, sie stehe ein »gegen alten und neuen Faschismus«.
124 Abgeordnete aller Parteien, ausgenommen der FDP, dem BSW und der AfD, befürworten einen möglichen AfD-Verbotsantrag. Zu einer Abstimmung darüber im Bundestag ist es derweil (Stand 22. Januar/vor Redaktionsschluss) nicht gekommen. Doch mit antifaschistischem Ruhm hat sich die Ampelregierung nicht bekleckert. Im Gegenteil – und das feierte auch die extreme Rechte im Netz: Bundeskanzler Olaf Scholz forderte im vergangen Jahr gegenüber dem Spiegel, man müsse »endlich im großen Stil […] abschieben«.
Auch die Union arbeitete jüngst im Bundestagswahlkampf fleißig an einer Verschiebung des Sagbaren nach rechts. Zuletzt sorgte die Union nach dem Sturz des syrischen Machthabers Baschar al-Assad mit der Forderung, Geflüchtete aus Syrien zeitnah abzuschieben, bei Vielen für Unverständnis. Gegenüber der Welt am Sonntag hatte der hiesige Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz Anfang Januar außerdem gesagt, er wolle straffällig gewordenen Doppelstaatlern die deutsche Staatsbürger:innenschaft entziehen. Merz fiel auch schon in der Vergangenheit immer wieder mit rassistischen Aussagen gegenüber Geflüchteten auf. Nach dem Ampel-Aus durch die FDP holte der marktradikale FDP-Chef Christian Lindner dann auch noch zur Referenz auf die Neofaschist:innen Elon Musk und den argentinischen Präsidenten Javier Milei aus. Während die extremen Rechte in einem Hochgefühl schwelgt, macht sich im antifaschistischen Lager ein Gefühl der Ohnmacht breit macht.
Ziviler Ungehorsam und Allianzen gegen Rechts
Um der Ohnmacht zu begegnen, setzen vor allem zivilgesellschaftliche Akteur:innen und Bündnisse darauf, die Ohnmacht in antifaschistische Praxis auf der Straße umzusetzen. In Essen gingen im Sommer 2024 rund 70.000 Menschen gegen den AfD-Parteitag auf die Straße. Neben dem Bündnis »Aufstehen gegen Rassismus« mobilisierte in Essen erstmals auch das Bündnis »Widersetzen«. Rund 7.000 Antifaschist:innen schlossen sich dem Aufruf von »Widersetzen« zu zivilem Ungehorsam an.
Verschiedene Demofinger zogen an diesem Tag voller Elan durch die Essener Innenstadt. Sie erschwerten es AfD-Abgeordneten enorm, den Parteitag pünktlich zu erreichen. Teils waren AfD-Delegierte mehrere Stunden durch Antifaschist:innen eingekesselt. Sie mussten mit massivem Polizeiaufgebot durch die Stadt zum Parteitag eskortiert werden. Dieser verzögerte sich in Essen um etwas mehr als zwei Stunden.
Auch die Proteste im thüringischen Riesa sind beispielhaft für eine erfolgreiche und bundesweite Vernetzung gegen rechts. 15.000 Menschen waren aus der Region und dem ganzen Land angereist, um sich dem AfD-Parteitag Anfang Januar in den Weg zu stellen. Antifaschist:innen machten sich über Nacht aus der ganzen Bundesrepublik auf den Weg in die thüringische Kleinstadt. Das Bündnis »Widersetzen« sprach von rund 200 Reisebussen aus über 80 Städten.
Auch in Riesa konnte der Parteitag durch Mittel des zivilen Ungehorsams trotz Temperaturen um die Null Grad um mehr als zwei Stunden verzögert werden. Die erfolgreiche Mobilisierung und die Aktionen des zivilen Ungehorsams machen auf einen weiteren Aspekt aufmerksam. In den letzten Jahren wurden im Rahmen von Protesten gegen den Abbau von Braunkohle wie beispielsweise im Hambacher Forst, in Lützerath oder der Lausitz auch an Allianzen zwischen Klimaschutz- und Antifabewegung geschmiedet. In Essen und Riesa hat sich gezeigt, dass diese Arbeit nun Früchte trägt.
Auf in ein antifaschistisches Jahrzehnt!
Auch in diesem Jahr finden bereits seit Beginn des Jahres wieder bundesweit Demonstrationen gegen Rechts statt. Noch ist nicht klar, ob die Proteste erneut Spitzenwerte wie im Vorjahr erreichen. Die Bandbreite der Aktionsformen reicht bisher vor allem von Blockadeversuchen, Kundgebungen bis hin zu einem Lichtermeer vor dem Brandenburger Tor. Was vielen fehlt ist ein klares Bekenntnis zu Antifaschismus.
Neben Zivilgesellschaftlichen Initiativen sollten sich auch staatliche Akteur:innen und Institutionen nicht wegducken, Antifaschist:innen Solidarität zu bekunden. Staatliche Repression dämpft antifaschistisches Engagement. Im Fall von Antifaschist:in Maja fehlte das staatliche Rückgrat, eine Auslieferung nach Ungarn zu verhindern.
Im Bundestagswahlkampf arbeiten sich lokale antifaschistische Gruppen an Wahlkampfveranstaltungen der AfD ab. Doch die schiere Anzahl flächendeckender Veranstaltungen aus dem Lager der extremen Rechten lassen nicht nach. Antifaschistische Praxis kann da schlicht nicht hinterherkommen Aus dem Auge verlieren sollte antifaschistische Praxis jedoch nicht, wie eng verwoben Kämpfe für Feminsmus und Klimagerechtigkeit sind.
Doch geht der Protest gegen die extreme Rechte weit genug? Braucht es einen konsequenteren Antifaschismus? »Wir verzichten gern‹ auf Lichterketten, auf Gerede was Niemanden hilft«, heißt es im Songtext der Berliner Punkband ZSK. Vor dem Hintergrund der Proteste aus dem vergangenen Jahr, sollte dies auch das zentrale Credo für die antifaschistische Bewegung sein. Es braucht viel Zeit, Kraft und Mut im Kampf gegen Faschismus. Vor allem aber braucht es ein nachhaltiges antifaschistisches Comeback. Vor dem Hintergrund global erstarkender neofaschistischer Kräfte wäre offenbar auch ein antifaschistisches Jahrzehnt mehr als notwendig.