Wir, End Fossil: Occupy!, besetz(t)en die Goethe-Uni
Im Dezember besetzten wir, End Fossil: Occupy! Frankfurt, den größten Hörsaal der Goethe-Universität. Ob anfänglich intendiert oder nicht, mit unserer Besetzung universitärer Räume und denen anderer Ortsgruppen der Klimagerechtigkeitsgruppe End Fossil: Occupy! legten wir den Finger auf die Wunde der gegenwärtigen Klimakrise.
Im Dezember besetzten wir, End Fossil: Occupy! Frankfurt, den größten Hörsaal der Goethe-Universität. Ob anfänglich intendiert oder nicht, mit unserer Besetzung universitärer Räume und denen anderer Ortsgruppen der Klimagerechtigkeitsgruppe End Fossil: Occupy! legten wir den Finger auf die Wunde der gegenwärtigen Klimakrise. Unsere Besetzungen und unser Aktivismus stellen zugleich einen Zusammenhang her, den auch schon Max Horkheimer beschrieb:
»Die Ausmerzung der Natur, ihre Vernichtung zu bloßem Material, führt in die Krise der Bildung, von der so viel die Rede ist.« (Horkheimer, 1985, S. 412).
Dieser Satz stammt aus Horkheimers Immatrikulationsrede »Begriff der Bildung«, die er 1952 vor Studierenden hielt. Indem Horkheimer in dieser Rede den Bildungsbegriff mit dem Verhältnis von Menschen, Natur und Gesellschaft verknüpfte, verdeutlichte er beinahe prophetisch die innere Verbindung zwischen Klimakrise und Bildungskrise.
Die Klimakrise
»Die Arbeit ist zunächst ein Prozeß zwischen Mensch und Natur, ein Prozeß, worin der Mensch seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigne Tat vermittelt, regelt und kontrolliert.« (MEW 23, S. 192)
Im Kapitalismus, im Zeitalter der Lohnarbeit ist der Prozess des Stoffwechsels durch Arbeit aufgrund der Logik und Dynamik der Produktionsweise gestört. Man könnte also von einem Riss im Stoffwechsel mit der Natur sprechen: Der Kreislauf von Aufnahme, Veränderung und Rückgabe in Form von Abfällen funktioniert nicht mehr so, dass die Reproduktion der Menschen und die Wiederherstellung der natürlichen objektiven Grundlagen der Produktion gewährleistet werden – anders als beispielsweise in einer Kreislaufwirtschaft. Der Kapitalismus nimmt sich alles und spuckt nur Zerstörungen und Krisen aus.
So zieht uns die kapitalistische Produktionsweise den Boden unter den Füßen weg. Auf den Punkt gebracht: Der Kapitalismus ist eine Wirtschaftsweise, die paradox ist, da sie darauf beruht, unendliches Wachstum durch endliche Ressourcen erzeugen zu wollen.
Horkheimer schließt sich diesem Urteil an und fasst dies in seiner Rede folgendermaßen zusammen: »Es gibt nichts Unbetretenes mehr. Es sieht so aus, als wäre überhaupt kein Stückchen unerfaßter Natur mehr übrig.« (Horkheimer, 1985, S. 411) Er hält fest, dass es kaum einen Lebensbereich mehr gibt, der nicht einer kapitalistischen, zweckrationalen Verwertungslogik unterworfen ist. Es ist im Hier und Jetzt kein Konsum mehr vorstellbar, der nicht auf Ausbeutung der Natur und des Menschen beruht. Ein Ausbruch ist in den kapitalistischen Zentren schlicht nicht möglich, solange wir nicht grundsätzlich unsere Produktionsweise neugestalten.
Der Kapitalismus hat das Wesen der Arbeit und somit auch das Austauschverhältnis des Menschen mit der Natur verändert. Für Horkheimer sind zwei Begriffe entscheidend: verwaltete Welt und instrumentelle Vernunft. Und weil es in dieser Logik der verwalteten Welt kein Außen mehr gibt, ist auch der Begriff der Bildung, wie Horkheimer es ausdrückt, in »Verarbeitung umgeschlagen«.
Die Bildungskrise
Es geht in der Universität nicht mehr um Bildung, sondern um die Verwertung von jungen Menschen zur künftigen Arbeitskraft, die vom Kapital ausgebeutet werden kann. Kurz um: Eine Bildung, die kapitalkonform ausgerichtet ist, trägt dazu bei, dass sich die Klimakrise verschlimmert, weil eine universitär Organisierte Halbbildung zur Ignoranz der kapitalismusinduzierte Klimakrise beiträgt. Somit ist auch dem Begriff der Bildung seine Substanz entzogen, und zwar ähnlich wie uns die Lebensgrundlage, also der Planet, durch die kapitalistische Verwertungslogik entzogen wird.
Dabei läge in einer Bildung, die eine solche Liquidation von Natur und Mensch in den Blick nimmt und kritisiert, auch das Potential für eine andere Logik. Dafür muss allerdings schon die grundsätzliche Denkbewegung von Bildung und ihrer gesellschaftlichen Situiertheit reflexiv behandelt werden.
»Die Universität aber ist ein Ort, wo […] Beziehungen sich anspinnen und damit auch die jugendlichen Bindungen und Freundschaften entstehen, die im Kleinen das Wesen einer Gesellschaft vorwegnehmen, wie sie einmal im Großen als die richtige Gesellschaft sich gestalten soll.« (Horkheimer, 1985, S. 417)
Damit ist – oder könnte zumindest – in der Universität und in der Bildung ein anderes Naturverhältnis angelegt sein, das im Kleinen bereits vorhanden ist, aber, wenn Bildung anders gestaltet ist, im Großen eine Wirkung entfalten kann.
Klima- und Bildungskrise
Die Klimakrise, die strukturell mit der Bildungskrise im erwähnten Zusammenhang steht, könnte allerdings, durch die im Inneren der Bildung fundierte Logik, wie sie Horkheimer darlegt, dazu beitragen, beide Krisen zu lösen. In dem Maße, in dem die (äußere) Natur – Meere, Wälder und Ökosysteme – beherrscht, eingehegt, fügsam gemacht, kurzum kapitalisiert und kolonisiert wurde und weiterhin wird, muss sich zugleich der Begriff der Bildung unter den Bedingungen dieses fehlenden Außen arrangieren. Alles ist gezähmt, alles ist dem Kapital untergeordnet, wodurch Bildung zur instrumentellen Ausbildung und Natur zum zu verwertenden Material verkommt. Horkheimer beschreibt dies an anderer Stelle mit dem Begriff der ›instrumentellen Vernunft‹.
Das zu lösen, erscheint mir als die Aufgabe der Bildung, zu der wir gegenwärtig, gerade an Universitäten, aufgerufen sind. Dazu müsste allerdings, wie Horkheimer schon feststellt, »über den alten Bildungsbegriff, der sich gegen die Hingabe ans Zivilisatorische, Gesellschaftliche, bloß absetzt« (Horkheimer, 1985, S. 415) hinausgegangen werden.
Ein neuer Bildungsbegriff
Gebildet sind wir also nicht dann, wenn wir etwas ›aus uns selbst machen‹, sondern dann, wenn wir uns in Form von intellektueller Arbeit einer Sache hinzugeben vermögen und dies auch in einer bewussten Praxis leben. Horkheimer betont damit, dass der rein individualistische Charakter der Selbstermächtigung für den Einzelnen gar nicht möglich ist, sondern erst in einem gesellschaftlichen Ganzen umsetzbar wird.
So liegt in einem kritischen Begriff der Bildung eine kollektive Utopie einer Gesellschaft verschüttet, die nicht auf dem Privatbesitz von Produktionsmitteln fußt. Unter den Trümmern, die uns die verwaltete Welt hinterlässt, liegt eine noch zu erschaffende Welt begraben. In den Nischen der Universität finden sich die Freiräume, die nicht auf der kapitalistischen Logik fundiert sind. Aus diesen Nischen müssen wir allerdings heraustreten – oder die Bildung heraustreten lassen –, um ein verallgemeinertes Prinzip zu schaffen, das Bildung als intellektuelle Arbeit im Kollektiv der herrschenden Strukturlogiken entgegenstellt und so wirkmächtig wird, dass ein anderes gesellschaftliches Naturverhältnis geschaffen wird.
Um dies noch einmal konkreter zu machen und auf den Anfang, die Hörsaalbesetzung von End Fossil: Occupy! Frankfurt zurückzukommen, ist der ausschlaggebende Punkt, dass Bildung eine gewichtige Rolle spielen könnte, um der Misere der kapitalismusinduzierten Klimakrise entgegenzutreten.
Dies bedeutet am Ende nicht nur intellektuelle Arbeit, wie beispielsweise Klimaforschung, sondern auch – Horkheimer beschreibt dies ohne Zweifel – spezifischen Zusammenschlüssen und Gruppen, wie End Fossil: Occupy!, beizutreten, sie zu gründen und mit und durch sie, in Verbindung mit einem anderen Bildungsbegriff, die Fundamente einer anderen Gesellschaft zu begründen.
Dies kann allerdings nur geschehen, wenn sich Studierende Räume nehmen, die nicht darauf ausgerichtet sind, Qualifikationen für ein ›weiter so‹ zu erwerben, sondern um Zeit zu haben ernsthaft aushandeln zu können, wie andere, ökologische und soziale Lebensweisen aussehen könnten.
Es gibt also eine einfache Konklusion: Wir besetzten und wir werden besetzen.