Die Letzte Generation und ihr Ansprechpartner die Politik
Die Aktivist*innen der »Letzten Generation« machen sich zu Recht große Sorgen über den Klimawandel. Dessen Auswirkungen sind längst bemerkbar. Mit ihren Aktionen wollen sie die Aufmerksamkeit erzeugen, die es ihrer Auffassung nach braucht, um die Politik zur Anerkennung der »Klimakatastrophe« und zu einem wirklich konsequenten Klimaschutz zu bewegen. Ein Resultat insbesondere ihrer Straßenblockaden ist jedoch, dass sie den Ärger und Hass von nicht wenigen Bürger*innen auf sich ziehen.
Der Staat wendet sich inzwischen mit harten Mitteln gegen die »Letztee Generation« (LG). Die Staatsanwaltschaft Neuruppin wirft ihnen die Bildung einer kriminellen Vereinigung vor und durchsucht Wohnungen von Aktivist*innen.
Der Verfassungsschutz-Chef Haldenwang sieht die LG allerdings nicht als Staatsfeinde. Im Gegenteil: »Er verwies darauf, dass die Klimaaktivisten der Gruppe ein Handeln der Regierung fordern. ›Also anders kann man eigentlich gar nicht ausdrücken, wie sehr man dieses System eigentlich respektiert, wenn man eben die Funktionsträger zum Handeln auffordert.‹« (FAZ, 17.11.22)
Da hat Haldenwang Recht. Ihre Beschwerden, dass die Regierung ihrem Auftrag nicht gerecht werde und versage, sind ein sehr ausdrücklicher Vertrauensbeweis an die Politik und geprägt von der Annahme, dass die Abwendung der Erderwärmung ihr Ziel sei. Im Folgenden soll gezeigt werden, dass diese in Bezug auf Klimaschutz anders gelagerte Zwecke hat und verfolgt, als die LG meint. Denn die Frage ist, warum trotz aller staatlichen Absichtserklärungen zum Klimaschutz praktisch so wenig passiert. 30 Jahre Klimapolitik, deren Ergebnisse und Gründe geben Aufschluss darüber, dass der Staat kein guter Ansprechpartner ist, wenn es darum geht, den Klimawandel aufzuhalten.
Mensch und Natur – wofür sind sie gut?
Mittlerweile hat es sich bei vielen herumgesprochen: Wenn die Erderwärmung gebremst werden soll, müsste sich ziemlich viel ändern. Wichtiger Ansatzpunkt der Klimapolitik waren und sind – trotz aller moralischen Appelle in Sachen Flugreisen und Avocados – die kapitalistischen Unternehmen. Von denen hängt das gesamte Funktionieren (Lohn, Steuern, Staatsschulden, Qualität einer Währung) einer bürgerlichen Volkswirtschaft ab. Daran will keine verantwortungsbewusste Regierung von links bis rechts etwas ändern.
Dass »die Wirtschaft« florieren muss, da sind sich alle einig. Und das geht so: Unternehmen wollen mit dem, was sie herstellen, mehr einnehmen, als sie dafür ausgegeben haben. Dafür werden Einkauf, Produktion und Verkauf darauf getrimmt, dass ein Gewinn rauskommt und am besten steigt. Lohnarbeiter*innen bekommen das zu spüren, wenn sie immer mehr zu leisten haben. Genauso gehen Unternehmen auch mit der Natur um: Herausholen, was geht, so günstig wie möglich. Energie- und Rohstoffgewinnung und Abfallentsorgung sind nur Kostenpunkte. Vergiftung der Böden, Flüsse und auch der Atmosphäre kostet die Unternehmen erstmal nichts, genausowenig die Freisetzung von CO2.
Damit die Geldvermehrung immer umfangreicher vollzogen werden kann, muss die Produktion immer weiter wachsen mit allen oben beschriebenen Folgen. Das alles liegt nicht daran, dass Unternehmer*innen oder Manager*innen zu doof oder zu gierig sind. Sondern daran, wie die Wirtschaft hierzulande organisiert ist und was ihr Zweck ist: Private Gewinnvermehrung mittels Produktion für den zahlungsfähigen Bedarf.
Die Wirtschaft – wofür ist die gut?
Die Politik ist nicht blind, konfliktscheu oder korrupt, wenn sie das oben erwähnte Wirtschaftswachstum mit den dort geschilderten Konsequenzen für Mensch und Natur fördert. Die Staaten (und Regierungen) der Welt setzen auf die kapitalistische Produktion als ihre Machtquelle, um ihre Zwecke zu verwirklichen. Von A wie Arbeitsagentur bis Z wie Zulassungsstelle benutzt der Staat das Steuergeld, um Gesellschaft und Geldvermehrung am Laufen zu halten.
Weil alle Staaten dieses Interesse für ihre Wirtschaft haben, stehen sie miteinander in Konkurrenz. Um dabei möglichst gut abzuschneiden, versuchen sie, sich die anderen unterzuordnen: In Handelsverträgen versuchen sie der eigenen Wirtschaft möglichst viele Vorteile zu verschaffen. Der Staat macht sich zum Mittel seiner kapitalistischen Wirtschaft, weil er dadurch stark (die Grünen würden sagen »handlungsfähig«) wird. Es ist schließlich kein Zufall, dass in der Regel die erfolgereichen Wirtschaftsnationen auch am meisten zu sagen haben in der Welt.
Energie – ein ganz besonderer Stoff
Für das Geschäft im Kapitalismus hat die Energie einen ganz besonderen Stellenwert. Moderne Produktion und Transport nutzen externe Energiequellen. Das sind im heutigen Kapitalismus meist fossile Energieträger: Kohle, Erdöl, Erdgas.
Wenn Energie notwendiger Bestandteil jeder Produktion und jedes Transports von Waren ist, dann gehen ihre Kosten auch in die Produktionskosten aller Waren ein. Die Folge: Verteuert sich die Energieerzeugung, so verteuern sich alle Waren. Solche, deren Herstellung und/oder Transport energieintensiv sind, stärker – andere schwächer1.
Steigende Herstellungskosten aller Waren senken die internationale Konkurrenzfähigkeit der Unternehmen eines Landes. Wenn Staaten versuchen, die eigene Wirtschaft möglichst konkurrenzfähig herzurichten, dann stoßen sie also auf Energie als wesentliche Voraussetzung. Sie ist Grundlage von Produktion und Transport, also muss sie verlässlich zur Verfügung stehen, damit Produktion und Transport – und das bedeutet: die damit bezweckte Geldvermehrung – genauso verlässlich funktionieren.
Zusätzliche Gelegenheiten zur Geldvermehrung sollen nicht bloß deswegen ungenutzt bleiben, weil es an zusätzlicher Energie zur Ausdehnung der Produktion mangelt. Energie muss für Staaten also in jeder Menge verfügbar sein, die für eine Produktionsausweitung benötigt wird.
Energie muss überdies so billig sein, dass die nationalen Unternehmen möglichst günstig produzieren können. Auf diese Notwendigkeit stoßen die Staaten, wenn sie sich bemühen, den bei ihnen ansässigen Unternehmen gute internationale Konkurrenzbedingungen zu schaffen. Aufgrund der genannten Erfordernisse ist Energieversorgung, angefangen von der Förderung fossiler Energieträger bis hin zur Erzeugung und Verteilung elektrischer Energie, stark reguliert. Dies kann durch gesetzliche Auflagen geschehen oder dadurch, dass der Staat einzelne Teile dieses Prozesses gleich durch staatliche Unternehmen organisiert2.
Energie – wo kriegt der Staat sie her?
Alle bisher erschlossenen Primärenergieträger sind auf der Welt nach geologischen Zufälligkeiten verteilt. Die bisher vorwiegend genutzten fossilen Energieträger finden sich deswegen häufig nicht (oder nicht ausreichend / erschließbar) in den Staaten, die wegen ihres wirtschaftlichen Erfolgs den höchsten Energiebedarf haben. Deswegen müssen diese Energie oder Energieträger importieren.
Dies bringt Verbraucherstaaten wegen der besonderen Bedeutung der Energieversorgung in eine besondere Abhängigkeit von den Erzeugerstaaten. Eine Konsequenz ist der Bezug von verschiedenen Energieträgern oder zumindest von möglichst verschiedenen Regionen und Staaten, um die Abhängigkeit von einzelnen Lieferanten abzufedern und die eigene Verhandlungsposition bei der Preisgestaltung zu verbessern. Eine andere ist die Förderung der Nutzung einheimischer Energieträger, die zwar teurer sind, aber dafür nicht unter Kontrolle anderer Staaten stehen. Dies war z.B. ein Grund für die langjährige Subventionierung der deutschen Steinkohleförderung.
Eine andere Konsequenz aus dieser Importabhängigkeit ist das Bedürfnis nach politischer Kontrolle der Lieferstaaten. Wenn die Energieträger schon auf fremdem Gebiet liegen, dann müssen die dortigen Staaten darauf festgelegt werden, diese so bereitzustellen, wie es im Interesse der Verbraucherstaaten liegt. Diese Ausrichtung eines Staates auf die Interessen anderer Staaten durch Sanktionen, durch Unterstützung der Opposition bis hin zum »Regime Change« oder auch durch offenen Krieg ist ein ausgesprochen gewaltträchtiges Programm.
Klimapolitik gegenüber Umweltpolitik
Wie oben ausgeführt, nutzt die Industrie – wenn sie nicht daran gehindert wird – Boden, Flüsse und Atmosphäre als kostenlose Müllkippe. Das führt dazu, dass Menschen krank werden oder sterben und dass ganze Landstriche wegen ihrer Vergiftung nicht mehr benutzt werden können. Damit die Unternehmen mit ihrem Profitinteresse nicht die Grundlagen ruinieren, die eine Wirtschaft überhaupt benötigt, beschränkt der Staat diese Praxis: Er betreibt Umweltpolitik.
Dabei hat der Staat ein Problem: Das kostet Geld, ist »eine Belastung für die Wirtschaft« und verhindert manches profitable Geschäft (z.B. Verbot von unkonventionellen Fracking in Deutschland). Und dieses erfolgreiche Geschäft seiner Unternehmen braucht der Staat ja gerade, da er daraus auch die eigene Macht und Handlungsfähigkeit zieht. Ihm stellt sich deshalb immer die Frage, ob die umweltpolitischen Maßnahmen wirklich sein müssen. Im Ergebnis wird dann umwelttechnisch manchmal einfach gar nichts gemacht und stattdessen die Schäden geleugnet oder kleingeredet. Wenn was gemacht wird, dann oft mir langem Vorlauf.
Zwischen »gewöhnlicher« Umweltpolitik und Klimapolitik besteht ein wesentlicher Unterschied, der für den Umgang der Staaten mit den entstehenden Problemen wichtig ist: Umweltpolitik betrifft eher einzelne Branchen und geht mit Wirkungen um, die oft regional beschränkt sind. Hier geht es um die Frage, ob bestimmte Schadstoffe oder einzelne umweltschädliche Produktionsverfahren beschränkt werden sollen. Mit anderen Worten: Wenn ein Staat bestimmte Umweltschutzmaßnahmen beschließt, steht der Schädigung der eigenen Wirtschaft auch ein nationaler Nutzen durch Schutz der Grundlagen der eigenen Macht gegenüber.
Bei der Klimapolitik ist das anders: Treibhausgase fallen nicht bei bestimmten Produktionsprozessen an, sondern bei jeder Produktion und Transport. Klimaschutzmaßnahmen betreffen also alle Branchen eines Landes in dem Maße, wie sie energieabhängig sind, und schädigen so die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft insgesamt. Seine problematischen Wirkungen entfaltet das CO2 zudem nicht regional beschränkt, sondern auf globaler Ebene durch Veränderung des Weltklimas. Reduktion von Treibhausgasen im eigenen Land bringt also erst einmal Schaden für die eigene Wirtschaft, aber nur eingeschränkten nationalen Nutzen.
Klimapolitik – Kampf um die Weltordnung
Staaten sind unterschiedlich vom Klimawandel betroffen. Für manche Inselstaaten sind 1,5 Grad existenzbedrohend, andere Staaten rechnen mit besserem Zugang zu Rohstoffen. Dennoch sind sich die meisten Staaten darin einig, dass der Klimawandel sich für sie jeweils zu einem Problem entwickelt und begrenzt werden sollte. Da sie in Konkurrenz zueinander stehen und Klimaschutzmaßnahmen erst einmal mit größeren Kosten verbunden sind, versuchen sie diese auf andere Staaten abzuwälzen, und neue Geschäftsfelder für sich und ihre nationale Geschäftswelt nutzbar zu machen. China stellt sich zum Beispiel auf den Standpunkt, dass es wegen der relativ späten Industrialisierung nun ein Recht zu erhöhten Emissionen habe.
Allgemein bekannt ist: Eine umfassende Senkung der weltweiten CO2-Emissionen ist nur möglich, wenn die Energiegewinnung auf eine nicht-fossile Grundlage gestellt wird. Daran knüpft Deutschland an und will mit seiner Wasserstoffstrategie – Stichwort »grüner Wasserstoff« – in die Offensive gehen. Es verfolgt zwei Ziele: Erstens will es nicht erst seit dem Ukraine-Krieg die bestehenden Öl- und Gas-Abhängigkeiten verringern und stattdessen »Partnerschaften« mit Lieferländern von grünem Wasserstoff eingehen, die teils wenig mehr zu bieten haben als Sonne und Fläche.
Zweitens ist Ziel, »Deutschland zu einem globalen Vorreiter bei Grünem Wasserstoff zu machen und langfristig die Marktführerschaft bei Wasserstofftechnologien zu erlangen und zu sichern. Klimaschutztechnologien »made in Germany« sollen zu einem neuen Markenzeichen werden: Deutsche Forschung und Unternehmen gehören zur Weltspitze bei Wasserstofftechnologien und der Aufbau von komplexen Industrieanlagen ist eine Kernkompetenz unseres Anlagenbaus. Die einmalige Chance, mit unserem Know-How zum Ausstatter einer globalen Energiewende zu werden, gilt es zu nutzen.« (bmbf.de3)
Das Streiten für stärkere Emissionsreduktionen dient damit dem nationalen Vorteil, weil andere so auf deutsche Produkte verpflichtet werden sollen. Das wissen die anderen Staaten und warten nicht darauf. Die USA legen zum Missfallen der EU ein großes Subventionsprogramm für ihre Wirtschaft auf; Frankreich setzt mit der EU auf Atomkraft als grüne Energie. So ist die Klimapolitik ein Kampf der weltweit erfolgreichen kapitalistischen Staaten um die Unterordnung der anderen Staaten unter ihre Definition von »sauberer« Energiegewinnung, in dem es nicht um eine vernünftige und möglichst wenig umweltschädliche Energieproduktion geht, sondern um die Grundlagen ihrer wirtschaftlichen Konkurrenzfähigkeit. So geht die imperialistische Konkurrenz mit der Bedrohung der natürlichen Lebensgrundlagen ihre Wege.
Appelle an Politik der Sorte »strengt euch bitte mehr an« sind daher fehl am Platz. Wirtschaften mit dem Ziel Erhalt-von-Lebensbedingungen ist mit kapitalistischen Staaten nicht zu haben. Es steht daher an, sich gegen die Zwecke und Ziele der herrschenden Politik zu richten.
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Auch die Lebenhaltungskosten steigen natürlich, wenn das Benzin für das Auto oder der elektrische Strom für den Haushalt teurer werden. Das ist aber nur das Problem der Leute, die sich bei steigenden Kosten entscheiden müssen, worauf sie verzichten wollen. Für das Funktionieren des Kapitalismus wird das erst zum Problem, wenn sich die Arbeiter*innen Dinge, die sie unbedingt brauchen, nicht mehr leisten können – oder, wenn sie das durch Protest und Widerstand zum Problem machen.
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Große Erdölunternehmen befanden sich wenigstens teilweise in Staatsbesitz (Shell, BP), weil private Unternehmen nicht genügend Kapital für die notwendigen Investitionen aufbringen konnten. RWE als lange Zeit mit Abstand größter Elektrizitätsversorger der BRD stand früher durch eine aktienrechtliche Ausnahmeregelung unter dem Einfluss der an ihr beteiligten Kommunen, auch wenn diese nicht die Aktienmehrheit hielten.
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https://www.bmbf.de/bmbf/de/forschung/energiewende-und-nachhaltiges-wirtschaften/nationale-wasserstoffstrategie/nationale-wasserstoffstrategie.html, abgerufen 16.01.22