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Eine Faust schlägt von oben nach unten

Zu Jahresbeginn 2025 fanden in Österreich Koalitionsgespräche zwischen der FPÖ und der ÖVP statt. Aus dieser Zeit stammt dieser Artikel unseres Gastautors Aaron Tauss. Letztlich wurden die Gespräche abgebrochen, in Österreich regiert nun eine Dreier-Koalition aus ÖVP, SPÖ und der liberalen NEOS.

Der Jahresbeginn markierte in Österreich eine Zäsur in der Geschichte des Landes. Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg erteilte der Bundespräsident dem Chef einer rechtspopulistischen und in Teilen rechtsextremen Partei den Auftrag zur Regierungsbildung. Derzeit deutet vieles darauf hin, dass es dem Bundesparteiobmann der Freiheitlichen Partei (FPÖ), Herbert Kickl, gelingen könnte, ein Koalitionsabkommen mit der konservativen Volkspartei (ÖVP) auszuhandeln. Welche Implikationen hätte eine solche Regierung für die arbeitende Mehrheit des Landes? Was würde auf Migrant*innen zukommen? Und was würde eine Kanzlerschaft Kickls für Österreichs stark geschwächte Linke bedeuten? 

Österreich könnte sich bald zu einer wachsenden Zahl von EU-Ländern gesellen, die von populistisch-nationalistischen Rechten regiert werden. Bei den Nationalratswahlen im vergangenen September wurde die Mitte der 1950er Jahre von ehemaligen Nazis gegründete FPÖ erstmals stärkste Partei auf Bundesebene. Die FPÖ ist damit die größte rechtsnationale Partei Westeuropas. Mit 108 von 183 Abgeordneten ist der rechtskonservative Block aus FPÖ und ÖVP im österreichischen Parlament so groß wie nie zuvor. Nach der Wahl stand die FPÖ allerdings vor dem Problem, dass alle anderen Parteien Koalitionsgespräche mit Kickl ablehnten. Die monatelangen Verhandlungen zwischen der zweitstärksten ÖVP unter Ex-Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) mit der Sozialdemokratischen Partei (SPÖ) und den liberalen Neos wurden Anfang Januar ergebnislos abgebrochen. 

Zu groß war der Druck des Industrie- und Wirtschaftsflügels der ÖVP auf Nehammer, die Forderungen von SPÖ-Chef Andreas Babler nach einer Bankenabgabe und einer Beteiligung der Vermögenden an der Budgetkonsolidierung abzulehnen und stattdessen mit der FPÖ zu verhandeln. Die Forderung Bablers war angesichts der Tatsache, dass die österreichischen Banken 2023 Rekordgewinne erzielt hatten, durchaus nachvollziehbar. Laut der Unternehmensberatung McKinsey verdienen Banken nirgendwo in der Eurozone so gut wie in Österreich. Doch die dominanten Kräfte in der ÖVP waren zu keinem Klassenkompromiss bereit. Die Interessen des Kapitals wogen schwerer als der machtpolitische Anspruch der Partei. Eine Neuauflage der rechtskonservativen Koalition, wenn auch erstmals mit der ÖVP als willigem Juniorpartner, ist für das österreichische Großkapital eine Traumkonstellation. Das liegt vor allem daran, dass die Wirtschaftsprogramme beider Parteien nahezu deckungsgleich sind.

Klassenkampf von oben

Als erstes konkretes Ergebnis der Regierungsverhandlungen kündigten FPÖ und ÖVP an, das österreichische Budgetdefizit »ausgabenseitig« konsolidieren zu wollen. Gespart werden soll bei künftigen Pensionen, Klimaförderungen, Subventionen, Sozialleistungen, im Bildungsbereich und bei den Ausgaben der Ministerien. Außerdem sollen Steuerprivilegien abgeschafft und der Zuverdienst zum Arbeitslosengeld gekürzt werden. Auch bei der Gesundheitsversorgung von Asylwerbern plant die FPÖ Einschnitte. Der Konsolidierungsdruck ist angesichts der EU-Konvergenzkriterien hoch. Laut Prognosen wird das Budgetdefizit in den Jahren 2024 und 2025 die Fiskalregel (3 Prozent des Brutoinlandsprodukt) überschreiten. Damit weist Österreich eines der höchsten Budgetdefizite im Euroraum auf. 

Die österreichische Wirtschaft befindet sich erstmals seit 1945 im dritten Jahr einer Rezession. Die Reaktivierung des exportorientierten Akkumulationsmodells und eine Offensive zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit stehen daher im Zentrum der laufenden Regierungsverhandlungen. Kickl und der neue ÖVP-Bundesparteiobmann Christian Stocker kündigten an, den »Wirtschaftsstandort« stärken, das »Investitionsklima« verbessern und die »Entbürokratisierung« vorantreiben zu wollen. Bereits im Vorfeld hatten beide Parteien versprochen, die Lohnnebenkosten und die Körperschaftssteuer zu senken. Darüber hinaus bekannten sich FPÖ und ÖVP zu einer restriktiven Asylpolitik, einer Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ORF) sowie einer »Rückkehr zur Normalität in allen Lebensbereichen«. Wenig davon kommt überraschend. Im Wahlkampf hatte Kickl wiederholt die Forderung der »Identitären« nach »Remigration« aufgenommen, die auf die massenhafte Abschiebung von Migrant*innen abzielt. Außerdem wetterte er gegen »Genderwahnsinn« und »Ökokommunismus«. 

Die geplanten Kürzungsmaßnahmen werden sich negativ auf die österreichische Klimapolitik auswirken. Der von der Vorgängerregierung aus ÖVP und Grünen zaghaft eingeleitete sozial-ökologische Umbau wird damit unter einem Bundeskanzler Kickl eine klare Absage erteilt. Der Rückbau sozialstaatlicher Leistungen wird Frauen, Menschen mit niedrigem Einkommen, Arbeitslose, prekär beschäftigte Arbeiter:innen und Migrant:innen am härtesten treffen. Wie schon in der Vergangenheit, zielen die arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen von FPÖ und ÖVP in Anlehnung an das deutsche Hartz-IV-Modell darauf ab, die Bereitschaft von Arbeitslosen zu erhöhen, prekäre Arbeitsverhältnisse zu akzeptieren. Es geht um die Ausweitung des Arbeitskräfteangebots auf flexibilisierten Arbeitsmärkten für postfordistische Akkumulationsstrategien. Die absehbaren Folgen sind wachsende Einkommensungleichheit, zunehmende Prekarität und die Ausweitung des Niedriglohnsektors. Damit steht den österreichischen Unternehmen eine Art »industrielle Reservearmee« zur Verfügung, die je nach Bedarf »aktiviert« werden kann, um die Profite im globalen Wettbewerb zu steigern.

Populistischer Kulturkampf 

Die neoliberale Politik der FPÖ steht im Widerspruch zu ihrer national-sozialen Rhetorik. Die FPÖ inszeniert sich als »soziale Heimatpartei«. Die geplanten Kürzungen werden jedoch zu sozialen Verwerfungen führen, die auch die Wählerschaft der Partei betreffen und unter Druck setzen werden. FPÖ und ÖVP haben in der Vergangenheit unpopuläre Politiken als Maßnahmen gegen Ausländer*innen, Migrant*innen, Flüchtlinge, Muslim*innen, Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger*innen verschleiert. Die Politik der Umverteilung nach oben ist eng mit dem Kulturkampf verbunden. Neoliberale Reformen und anti-migrantische, islamophobe Ausgrenzung sind zwei Seiten derselben rechtspopulistischen Medaille. 

Seit Mitte der 1980er Jahre arbeitet die FPÖ daran, den Klassengegensatz im öffentlichen Diskurs durch ethnisch-nationale und kulturelle Identitäten zu ersetzen. Unterstützt wird sie dabei vor allem von den rechtskonservativen österreichischen Boulevardmedien, die eine wichtige Rolle bei der Verbreitung rassistischer und fremdenfeindlicher Narrative spielen. Ihre diskursive Macht hat zur Durchdringung des Alltagsverstandes mit FPÖ-Positionen und zur »Normalisierung« der Partei beigetragen. Die rechtspopulistische Strategie zielt darauf ab, verbreitete Unsicherheits- und Bedrohungsgefühle aufzugreifen und auf greifbare Feindbilder zu lenken. In jüngster Zeit ist vor allem die Figur des Muslims als kulturell fremdes Subjekt zum Dreh- und Angelpunkt des rechtspopulistischen Diskurses geworden. Dabei geht es der FPÖ vor allem darum, für liberale und konservative Wählerschichten der »Mitte« politisch anschlussfähig zu werden. 

Die rechtspopulistische Strategie geht jedoch über das rassistisch Narrativ hinaus. Unter Kickl ist es gelungen, die FPÖ in Abgrenzung zu den »Einheitsparteien« als »Anti-System«-Partei zu inszenieren. Und das trotz FPÖ-Regierungsbeteiligungen in vier Bundesländern und einem FPÖ-Landeshauptmann in der Steiermark. Es waren vor allem Kickls Auftritte bei den Corona-Demonstrationen während der Pandemie, die es der FPÖ ermöglichten, sich in der öffentlichen Wahrnehmung als Partei des Protests und der Unzufriedenen mit der herrschenden Politik zu etablieren. Im Wahlkampf präsentierte sich Kickl dem populistischen Drehbuch folgend als »Volkskanzler«. Er versprach »Erlösung« und »fünf gute Jahre« für die »Familie Österreich« und die Wiederherstellung von Ordnung, Sicherheit, Kontrolle und Souveränität. In der aktuellen Gemengelage von Rezession, Verarmung und Inflation gelingt es der FPÖ als einziger Partei, die Wut, Sorgen und Abstiegsängste der Menschen aufzugreifen und Problemlösungskompetenz auszustrahlen. Dabei artikuliert die FPÖ die persönliche Krisenerfahrung als Antagonismus zwischen einer »korrupten Elite«, die sich vorgeblich nur um Migrant*innen, Muslime und queere Menschen kümmert, und dem »wahren Volk«. Diese populistische Spaltung wird dann mobilisiert, um ein klassenübergreifendes Bündnis zur Durchsetzung neoliberaler Politik zu schmieden. 

Krise der Linken

Die wichtigste Voraussetzung für den Erfolg der FPÖ ist und bleibt jedoch die anhaltende Schwäche der österreichischen Linken. Unter Babler, der gezielt auf linke Themen wie Arbeitszeitverkürzung und Besteuerung von Vermögenden gesetzt hatte, erzielte die SPÖ das historisch schlechteste Ergebnis seit 1945. Babler gelang es nicht, Wähler*innen aus dem rechten Lager zu gewinnen. Die SPÖ hat in den vergangenen Jahrzehnten nicht nur an Wähler*innen und Mitgliedern verloren, sondern auch an Bedeutung im gesellschaftlichen und politischen Diskurs. Auch unter Babler ist die Partei nach Jahrzehnten der Neoliberalisierung und ideologischen Entkernung nur noch ein Schatten ihrer selbst. Die erneute Oppositionsrolle der SPÖ könnte die Position Bablers, der seit der Nationalratswahl ohnehin parteiintern angezählt ist, weiter schwächen. 

Die Kommunistische Partei (KPÖ) konnte ihren Stimmenanteil bei den Nationalratswahlen mehr als verdreifachen. Mit 2,4 Prozent der Stimmen blieb sie jedoch deutlich unter der für den Einzug ins Parlament erforderlichen Vier-Prozent-Hürde. Die KPÖ konnte in der Vergangenheit vor allem auf lokaler Ebene in Graz, Salzburg und Innsbruck beachtliche Wahlerfolge erzielen. Auf Bundesebene müsste sich die Partei jedoch neu aufstellen und mit Mobilisierung und gezielten Kampagnen versuchen, mehr politische Mitstreiter*innen für die anstehenden Auseinandersetzungen gewinnen. Der Wiederaufbau der österreichischen Linken wird unter einer Kanzlerschaft Kickls ein mühsames Unterfangen werden. 

Entscheidend ist dabei vor allem der Aufbau intellektueller, organisatorischer und kultureller Kapazitäten, um das diskursive Feld weg von Themen wie Migration, Islam und »innere Sicherheit« hin zu Fragen sozialer Ungleichheit, steigender Mieten und Lebenshaltungskosten und Verarmung zu verschieben. Längerfristig geht es darum, eine solidarische Alternative zu entwickeln, die die neoliberal-konservative Hegemonie herausfordert und ein emanzipatorisches Gegenprojekt mit grundlegenden sozial-ökologischen, ökonomischen und politischen Reformen im Interesse der arbeitenden Mehrheit vorantreibt. 

Dem rechtskonservativen Machtblock geht es um den Umbau von Staat und Zivilgesellschaft im Sinne bürgerlicher Herrschaftsziele. FPÖ und ÖVP werden versuchen, die Krise der linken Kräfte zu nutzen, um die noch bestehenden Organisationen der Arbeiter*innenklasse nachhaltig zu schwächen. Beide Parteien haben es dabei vor allem auf die Arbeiterkammer (AK) abgesehen, die sich seit über 100 Jahren federführend um die Interessen der Arbeiter*innen und Angestellten kümmert. Es wird sich zeigen, ob linke Parteien, soziale Bewegungen und die österreichischen Gewerkschaften die notwendige Gegenwehr mobilisieren können, um die historisch erkämpften Institutionen der Arbeiter*innenschaft gegen die Angriffe der herrschenden Klassen und ihrer politischen Interessensvertreter zu verteidigen. 

Trotz der Wiederbelebung der »Donnerstagsdemonstrationen«, die als Reaktion auf die erste Regierungsbeteiligung der FPÖ im Jahr 2000 ins Leben gerufen wurden, gibt es derzeit keine breite linke Mobilisierung gegen den rechtskonservativen Machtblock. Der Großteil der lohnabhängigen Klasse ist demobilisiert und politisch desillusioniert. Angesichts der gegenwärtigen Kräfteverhältnisse ist unter einer FPÖ-ÖVP-Regierung nicht nur eine weitere Verschärfung des Klassenkampfes von oben, sondern auch eine Machtverschiebung zugunsten der Kapitalseite zu befürchten.