Reichsbürger als Vereinsmeier
Ein rechtes Netzwerk aus Namenspiraterie und vermeintlichen »Steuertricks« ist in ganz Deutschland aktiv – auch im Rhein-Main-Gebiet
Wer in Deutschland mit einer Gruppe von Menschen gemeinsame Aktivitäten verfolgen will, der gründet häufig einen Verein. Im Jahr 2022 gab es in der BRD rund 600.000 Vereine, ihre Anzahl hat sich in den letzten 50 Jahren verfünffacht. Fast jeder zweite Deutsche ist Mitglied in einem Verein. Die Möglichkeiten, die eine Vereinsgründung bietet, sind offenkundig: Das Agieren als juristische Person etwa, aber auch das Führen eines Vereinskontos. In der Öffentlichkeit werden eingetragene Vereine zumeist als seriös wahrgenommen, als Rückgrat der bundesdeutschen Zivilgesellschaft.
Das wissen auch Angehörige der extrem rechten Reichsbürgerszene – und nutzen das deutsche Vereinsrecht zur Verschleierung ihrer politischen und wirtschaftlichen Absichten. Unsere Recherche in Zusammenarbeit mit der Frankfurter Initiative Aufklärung statt Verschwörungsideologien zeigt: Auch im Rhein-Main-Gebiet tummeln sich zahlreiche Vereine der Reichsbürgerszene.
Ein regionales Beispiel dafür ist der Lebensglück e.V., der im Vereinsregister des Amtsgerichts Darmstadt eingetragen ist. Es ist ein Verein aus dem Kreis der Reichsbürger-Organisation Königreich Deutschland (KRD), der von Dezember 2022 bis Mai 2023 im Frankfurter Stadtteil Riederwald ein angebliches »Vereinslokal« betrieb. An der Eingangstür wies ein Schild darauf hin, dass Besucher*innen mit dem Betreten des Lokals eine Tagesmitgliedschaft im Verein Lebensglück e.V. erwerben, was offensichtlich der Versuch ist, eine Gaststätten-Konzession zu umgehen. In den Räumlichkeiten führte der Seckbacher David Ekwe-Ebobissé ein veganes Rohkost-Restaurant namens Rohkosteria. Ekwe-Ebobissé, der unter dem Namen Mr. Raw einen Esoterik-Versand betreibt, ist im Rhein-Main-Gebiet eine führende Person des Königreichs Deutschland und Vorsitzender des Lebensglück e.V.
Im Königreich Deutschland (KRD) um seinen »König« Peter Fitzek wird nicht nur die völkerrechtliche Existenz eines von der BRD unabhängigen Königreichs behauptet, dem man angeblich beitreten könne und so von den Pflichten der BRD-Staatsbürgerschaft entbunden wäre, vom Steuerzahlen bis zum Befolgen der Gesetze. Vielmehr bietet Fitzeks »Königreich« auch eine eigene »Bank« sowie eine »Gesundheitskasse« an. Das KRD fungiert so im Wesentlichen als Betrugsmodell: Die KRD-Angehörigen zahlen Geld in Euro ein, tätigen vermeintliche Bankgeschäfte oder zahlen angeblich ihren Beitrag zur »Gesundheitskasse«. Doch die KRD-eigene Währung entpuppt sich schnell als wertlos, und auch Arztkosten können bei der KRD-Pseudo-Krankenkasse nicht abgerechnet werden. Eine Masche, mit der das KRD nach Schätzungen bereits mehrere Millionen Euro erbeutet haben soll.
Von jüdischen Gemeinden und Verbraucherforen
Besonders perfide: Einige Vereine, die dem Netzwerk der Reichsbürger zuzuordnen sind, geben sich nicht bloß so harmlos-blumige Namen wie Lebensglück e.V., sondern betreiben eine Form der Namenspiraterie, die einen völlig falschen Eindruck vom Treiben des Vereins erweckt. Der NDR-Journalist Julian Feldmann berichtete im September 2023 auf tagesschau.de, Reichsbürger hätten republikweit mehrere Vereine gegründet, die »jüdische Gemeinde« heißen. Auch auf das Frankfurter Umland trifft das zu: Der Verein Jüdische Gemeinde Falkenstein e.V. hat seinen Sitz in Bad Soden. Ausweislich der Vereinsdokumente verfolgt der Verein das Ziel der »Förderung des jüdischen Kulturgutes« und der »Beziehungen zum Staate Israel«. Über einen öffentlichen Auftritt verfügt der Verein nicht, Aktivitäten sind nicht feststellbar, auch keine vergangenen Veranstaltungen.
Doch die Vereinsdokumente geben noch weitere Informationen preis: Schnell lassen sich zahlreiche Querverbindungen zu anderen Vereinen finden. Manche nennen sich »Prüf- und Beschaffungsverband«, andere »Verbraucherforum«, wieder andere »GVN«, was für »Gemeinschaft der Verfolgten des Naziregimes« steht. Teilweise ähneln sich die Vereinssatzungen bis aufs Wort, teilweise bekleiden die immer gleichen Personen Ämter in einer Reihe von Vereinen – und das über die ganze Republik verteilt. Eine Stichprobe auf Vereinsregistern im Rhein-Main-Gebiet führt schnell über ein Dutzend Vereine zutage, die diesem Reichsbürger-Netzwerk zuzuordnen sind. Einige Namen fallen immer wieder auf, die offenbar zentralere Rollen spielen, zudem Verbindungen nach Spanien, wohin einige Vereine ihren offiziellen Sitz verlagern.
Hinter einem Verein, der sich »Verbraucherforum« nennt, vermutet man wohl nichts Schlimmes, die Assoziation zu den Verbraucherzentralen liegt nahe – die wiederum nicht selten gegen Vereine und Betriebe der Reichsbürger-Szene juristisch vorgehen.
Leonie Jäger beschäftigt sich bereits seit vielen Jahren mit Reichsbürgern. Als Teil der Initiative Aufklärung statt Verschwörungsideologien analysiert sie die Ideologien, Organisationsformen und Netzwerke der Reichsbürger-Szene akribisch. Mit Blick auf die Vereinsnetzwerke und ihre Namenstäuschung erklärt sie: »Es handelt sich um ein bekanntes Modell, dass in den Netzwerken der Reichsbürger-Szene bundesweit mutmaßlich hundertfach angewendet wurde: Es werden Vereine gegründet, deren Namensgebung bei den zuständigen Registergerichten und anderen staatlichen Stellen keinen Verdacht regt, diese werden dann wiederum Teilhaber anderer, teils europarechtlicher Organisationsstrukturen, besonders der sogenannten Europäischen wirtschaftlichen Interessensvereinigung, kurz EWIV. In der Szene wird kolportiert, hierdurch könne man völlig legal Steuern sparen.« Doch offenbar ist das Gegenteil der Fall: Einige EWIVs verlegten ihren Sitz einige Jahre nach Gründung ins spanische Cádiz, meldeten Insolvenz an. Ein tragfähiges Geschäftsmodell steckt hinter den Reichsbürger-EWIVs daher wohl nicht. »Wir müssen davon ausgehen, dass diese komplexen Vereins- und Unternehmensstrukturen ausschließlich zu dem Zweck geschaffen werden, Gelder umzuleiten, zu veruntreuen und zu verschleiern«, befindet Jäger.
Multifunktionäre in einer Reichsbürger-Schattenwelt
Einer der wichtigsten Akteure des Reichsbürger-Vereins-Netzwerks ist der 68-jährige Wolfgang Lange. In den 2000er Jahren war er Aktivist der kurzlebigen Reichsbürger-Partei Interim Partei Deutschland, seitdem gründete er eine ganze Reihe von Vereinen und EWIVs. In über 20 Vereinen hat Lange heute noch Posten im Vorstand oder in der Geschäftsführung. Sein Netzwerk erstreckt sich über ganz Deutschland und bis nach Spanien. Regionale Ableger sind etwa das Verbraucher-Forum Bad Homburg e.V., das Verbraucherforum Rhein-Main e.V. oder das Verbraucherforum-Wetterau e.V.
Hinter diesen Vereinen verbirgt sich mitnichten die Unterstützung und Beratung in Fragen des VerbraucherKonsumentenschutzes, sondern eine staats- und gesellschaftsfeindliche Agenda. Immer wieder werden in einschlägigen Telegram-Gruppen der Reichsbürgerszene auch entsprechende Workshops, Lehrbücher oder Ratgeber angeboten – natürlich gegen Geld. Sie versprechen die fast völlige Steuerfreiheit, entsprechende Links werden unter Neonazis, Esoteriker*innen und ReichsbürgerInnen vielfach weitergeleitet. Markward erklärt: »Nicht nur die EWIV selbst wird so zum betrügerischen Modell, sondern auch die Vermarktung der entsprechenden Ideen und Konzepte durch selbsternannte Crash-Propheten, Workshopleiter und ›Gurus‹.«
Seit einigen Jahren wird die Reichsbürgerszene auch vom Inlandsgeheimdienst, dem Bundesamt sowie den Landesämtern für Verfassungsschutz, beobachtet. Sie bildet dort einen eigenständigen »Phänomenbereich«, wie es in der Geheimdienstsprache heißt, getrennt von »Rechtsextremismus«. Diese Trennung war schon bei ihrer Einführung von zahlreichen Politikwissenschaftler*innen kritisiert worden. Ein Blick auf Telegram zeigt: In den gleichen Gruppen, in denen Reichsbürger-Propaganda verbreitet wird, werden auch queerfeindliche und rassistische Memes und andere Inhalte verbreitet.
Die Suche nach vermeintlichen Steuertricks und die um sich greifende Skepsis gegenüber staatlichen Institutionen treibt immer wieder Menschen in die Arme der Reichsbürger-Szene. Vor allem Kleingewerbetreibende, die unter einer steigenden Abgabenlast leiden und den Staat mehr und mehr als autoritäre Lenkungsinstanz statt als demokratisches Gemeinwesen erleben, sind es, denen die Vordenker der Reichsbürger-Szene einen »Austritt« aus der BRD versprechen.
Doch welche Gefahr geht von diesen Netzwerken aus? Leonie Jäger von der Initiative Aufklärung statt Verschwörungsideologien warnt: »Wir müssen immer ganz genau hinschauen, wenn sich extreme Rechte eigene Parallelwelten und Wirtschaftskreisläufe aufbauen und erschließen.« Immerhin ist die Szene nicht zu unterschätzen: Auf das Konto der Reichsbürger-Szene ging im Jahr 2016 auch der Polizistenmord im bayerischen Georgensgmünd, wo ein Reichsbürger bei einem SEK-Einsatz zur Beschlagnahme von Waffen einen 32-jährigen Polizisten erschoss. Aus harmlos klingenden Vereinsnamen wie Lebensglück e.V., vermeintlich unpolitischen Steuertricks oder der perfiden Namenspiraterie werden so rechte Vernetzungs-, Austausch- und Erlebnisräume, die das staatliche Gemeinwesen untergraben und Gesellschaft zersetzen sollen. Sie sind längst bundesweit aktiv, auch im Rhein-Main-Gebiet.