
Solidarisch in den Untergang?
Rezension zu Tadzio Müllers »Zwischen friedlicher Sabotage und Kollaps«
Wie entwickelt sich der Klimaaktivismus in einer Welt weiter, in der die Faschisierung der Gesellschaft zum drängendsten Problem wird? In der die erfolgreiche Bewältigung von gesellschaftlichen Konflikten immer unwahrscheinlicher erscheint? Und in der die Klimakatastrophe sowieso höchstens noch abzumildern, nicht aber zu verhindern ist? Ein langjähriger Vordenker der deutschen Klimabewegung hat darüber jetzt ein Buch geschrieben, das unsere Autorin bespricht.
Kriege, Pandemie, Rechtsruck und Dauerkrise. Es ist kein Wunder, dass die Debatte um Krisenfestigkeit, Anpassung oder heute häufiger Resilienz, seit einiger Zeit Konjunktur hat. In der Sozialwissenschaft markierte spätestens Philipp Staabs Buch »Anpassung« (2022) den Einstieg in den neuen Diskurs. In der Politik und Verwaltung werden Klimaanpassungsstellen geschaffen und auch in der Psychologie spricht man immer häufiger davon, dass wir »resilienter« werden müssten. Nur Klimaaktivismus und Anpassung gingen bisher nicht sehr gut zusammen, schien doch die Haltung des Sich-Arrangierens einem aktivistischen Willen zur Veränderung prinzipiell zu widersprechen.
Vielleicht ändert sich das nun. Tadzio Müller, Klimaaktivist der »ersten Stunde« (taz), hat ein Buch rausgebracht, das den Kampf gegen die Klimakrise als gescheitert betrachtet. Klimagerechtigkeits-Aktivismus sei im Kollaps aber durchaus noch möglich und sogar nötig, jedoch in anderer Form. Der Autor selbst bezeichnet das Buch als »politemotionales Tagebuch«. Daneben ist es aber auch eine kleine Geschichte der deutschen Klimabewegung der letzten Jahre, gesellschaftliche Gegenwartsanalyse und aktivistischer Programmvorschlag. Vor allem ist es seine ziemlich persönliche Geschichte, wie er angesichts ausbleibender wirksamer Klimapolitik erst zunehmend verzweifelte, schließlich in eine »Klimadepression« stürzte und letztendlich in anderen Aktionsformaten, die den Kollaps als bereits bestehende Realität anerkennen, wieder »realistische Hoffnung« fand.
Das Buch verfolgt diese Entwicklung nach. Es setzt sich vor allem aus Beiträgen Tadzio Müllers Blogs Friedliche Sabotage aus den letzten drei Jahren zusammen. Darin drängt sich die Frage auf, wieso trotz kurzweiliger breiter gesellschaftlicher Unterstützung der Anliegen der Klimabewegung, trotz der scheinbaren Stärke der Bewegung im Jahr 2019, trotz der Hochwasser, Waldbrände und Dürren letztlich nichts passierte. Die eigentliche Ursache für ein andauerndes Ausbleiben konsequenten Klimaschutzes sieht Tadzio Müller nicht in den Auswirkungen von Pandemie und Krieg, sondern in der »Verdrängungsgesellschaft«. Unsere Gesellschaft wolle nicht wahrhaben, dass sie die heute immer stärker spürbaren Krisen durch ihre Wirtschafts- und Lebensweise mitverursacht hat, verdränge also aus Schuld- und Schamgefühlen die Klimakrise lieber als sie zu bekämpfen – Müller beruft sich hier auch auf Lessenichs These der »Externalisierungsgesellschaft« (Lessenich 2018). Abgeschottet und fremdenfeindlich könne unsere Gesellschaft schließlich bequem hinter selbst errichteten Mauern und Dämmen die Schuld und die Scham aussperren. Zugespitzt befänden wir uns also auf dem Weg in eine »Arschlochgesellschaft«, die wieder offen menschenfeindlich agiert.
Soweit, so deprimierend. Tadzio Müller zieht daraus den Schluss: Wir leben längst »im Kollaps«. Und zwar einem mehrfachen. Zum einen dem Klimakollaps, der den Übergang von einem stabilen in einen instabilen Zustand des globalen Klimasystems meint. Zum anderen im Kollaps als Erosion der gesellschaftlichen Verhältnisse durch die Faschisierung der Gesellschaft. Der Kollaps meint bei ihm also kein singuläres Ereignis, keinen großen Knall, sondern einen Prozess. Der naive Glaube breiter Teile der Klimabewegung, den Kollaps immer noch abwenden zu können, wenn man es nur wirklich wolle und jetzt anfangen würde, verhindere den emotionalen Trauerprozess, den wir laut Müller kollektiv durchlaufen müssten, um die Realität einzusehen. Erst wenn wir erkennen würden, welche Hoffnungen wir alle aufgeben müssen, könnten wir neue begründete Hoffnung finden.
Vorbilder für Formen solidarischer Kollapspolitik sieht er zum Beispiel in dem schwedischen Netzwerk Preppa Tillsammans (»Solidarisches Preppen«). Dieses folgt der Idee, dass man auf häufiger eintretende Krisen und Katastrophen gemeinsam und vorbereitet reagieren sollte. Das Netzwerk will die Sorge der Einzelnen in konkrete Handlungen überführen und gerade darin wieder Hoffnung finden. Tadzio Müller betont, dass es bei dem Ansatz eben nicht um die Prepper-Phantasien derer gehe, die von mit Vorräten und Waffen ausgestatteten Privatbunkern träumen, sondern um ein solidarisches Vorhaben, das vor allem auf die Stärkung sozialer Beziehungen vor Ort setzt. Ganz konkret sieht er in Großstädten Potenziale in der Vernetzung mit Nachbar*innen, der Vorbereitung auf zunehmenden Wassermangel und dem Schaffen gemeinschaftlicher Orte, die Zuflucht für extreme Hitze bieten könnten. Den Kollaps anzuerkennen, bedeute also nicht, zu kapitulieren. Es bedeute auch nicht, dass keine Handlungsspielräume mehr zur Verfügung stehen. Vielmehr gehe es um die realistische Einschätzung der verbleibenden.
Tadzio Müllers Ansatz ist zunächst einmal verlockend, ist doch die politische Lähmung angesichts eskalierender Klimakrise und Faschisierung evident und der Hunger nach neuen aktivistischen Strategien in linken Kreisen entsprechend groß. Gerade der erste Teil seines Buches enttäuscht diese Erwartung jedoch eher, erzählt er doch zunächst in aller Ausführlichkeit die jüngsten Entwicklungen der Klimabewegung und -politik nach, die wohl vielen noch recht deutlich im Gedächtnis sein dürften. Große Auszüge des Buches sind aus Beiträgen seines Blogs zusammengesetzt. Die Einträge sind daher immer wieder redundant und spiegeln eher spontane Gedanken, Eindrücke und Meinungen wider. Dazu kommt, dass Tadzio Müllers Stil oft flapsig bis rotzig, laut und polternd ist (und vermutlich den Anglizismen-Preis des Deutschen Buchhandels gewinnen würde, gäbe es einen solchen). Die Lektüre kann gerade dadurch Spaß machen – das Buch verliert aber manchmal an Präzision.
Am interessantesten sind die letzten beiden Kapitel, in denen es konkreter wird: Wie kann solidarischer Kollaps-Aktivismus aussehen? Der Ansatz regt zum Nachdenken an und wirft gleichzeitig viele Fragen auf: Ist der Kollaps-Begriff, der schließlich kaum noch eine Steigerung kennt, wirklich geeignet? Ist es nicht immer noch leichtsinnig, jegliche Form von Klimapolitik als aussichtslos darzustellen? Geraten nicht internationale Klimagerechtigkeitsfragen aus dem Blick, wenn wir uns allzu sehr auf unsere Bedürfnisse in lokalen Strukturen konzentrieren? Und gäbe es nicht immer noch gute Gründe, diese aktivistische Energie stattdessen in Forderungen nach dem Ausbau notwendiger staatlicher Kollaps-Infrastrukturen zu stecken, statt sich – wenn auch nicht »privatisiert« –in eigenen Gruppen zu organisieren?
Viele dieser Fragen bleiben nach der Lektüre des Buchs unbeantwortet. Aber der aktivistische Kollaps Space und die ihn umgebende Debatte sind schließlich auch noch jung. Tadzio Müllers Ansatz stellt zumindest eine konsequente aktivistische Ergänzung der gesamtgesellschaftlichen Debatte um »Anpassung« dar. Auch in dieser müssen weitere Analysen folgen, die beschreiben, wie wir mit »Verlust« (Reckwitz 2024) oder »Unhaltbarkeit« (Blühdorn 2024) umgehen (können). Das Buch stößt also die Diskussion um die Notwendigkeit und Ausgestaltungsarten von solidarischen Kollaps-Praktiken an und macht letztlich vor allem neugierig, ob und welcher Form diese bald schon Realität werden. Tadzio Müller und weitere Aktivist*innen aus der Klimabewegung und anderen linken Bewegungen planen in diesem Sommer jedenfalls schon ihr erstes Kollapscamp – dort soll trotz all der Dunkelheit ein »Ort, der Spaß macht« entstehen.