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Eine Person, mit einem Bettlaken als Gespenst verkleidet, vor einer gelben Fläche

Über die kommende Besetzungsbewegung in Frankfurt

In Frankfurt kam es in den letzten eineinhalb Jahren mehrfach zu Besetzungen von leerstehenden Gebäuden. Ein Text über Kontinuitäten, das Erbe des Frankfurter Häuserkampfes und die gespenstige Bedrohung der kommenden Bewegung.

»Hausbesetzungen sind nichts Neues«, ist der erste Satz der ersten Seite des diskus von Herbst 1971. Ein Jahr zuvor »begann die Geschichte der Hausbesetzungen« in Frankfurt im September »mit der Okkupation des Hauses Eppsteiner Straße 47« (diskus 1971: 1). Einen Monat später folgten im Abstand von drei Tagen zwei weitere Hausbesetzungen. Sie sollten die gespenstischen Vorboten des Frankfurter Häuserkampfes werden. Doch die heute wiederkehrenden Gespenster des Häuserkampfes waren damals bereits eine Wiederkunft von Hausbesetzungen in England nach dem Zweiten Weltkrieg, Frankfurt oder in Italien. Jacques Derrida fragt also zurecht: »Was ist mit der Zukunft? Die Zukunft kann nur den Gespenstern gehören.« (Derrida 2004: 59)

Der Autor des diskus stellt retrospektiv hellsichtig fest, dass sich durch die Besetzung der drei Westend-Häuser im Herbst zuvor etwas änderte. Vor der ersten Besetzung in Frankfurt war der Häuserkampf zwar bereits versprochen, aber eben nur versprochen. Der aufkommende Spuk des Häuserkampfes, der Hausbesetzungsbewegung, wurde durch die ersten drei Besetzungen im Herbst 1970 angekündigt und verbesserte nicht nur die ganz konkreten Lebensverhältnisse der Besetzer*innen. »Mehr als hundert Personen, die in den geräumigen Altbauten endlich Wohnungen fanden, die ihren Bedürfnissen angemessen waren, in denen sie sich wohlfühlen konnten. Sie hatten erkannt, daß sie sich selbst helfen müssen, weil ihnen sonst niemand hilft. Und sie haben daraus praktische Konsequenzen gezogen, indem sie die einzige Chance wahrnahmen, die ihnen blieb: nämlich sich das zu nehmen, was sie zum Leben brauchen, was ihnen vorenthalten wird, obwohl es vorhanden ist.« (diskus 1971: 1) 

Gespenster des Häuserkampfes und Mietstreik

Zwischen 1970 und 1974 entwickelte sich in Frankfurt eine breite Besetzungsbewegung, die später als der Frankfurter Häuserkampf bekannt wurde. Sie richtete sich gegen Immobilienspekulationen, Mieterhöhung und Leerstand. Der Frankfurter Häuserkampf war begleitet von einem breitem organisierten Mietstreik, meist von sogenanntem Gastarbeiter*innen, die unter miesen Mietverhältnissen litten und die horrenden Mieten nicht mehr Zahlen wollte (amantine 2012: 16). Organisiert waren die migrantischen Mietstreiks unter anderen von den Gruppen Lotta Continua (»Permanenter Kampf«) und Unione Inquilini (»Mieter*innenunion«). Das Ziel der Unione Inquilini, wie sie selbst im diskus von 1973 schreiben, war klar: »Der Mieterstreik soll so lange dauern, bis die Miete auf maximal 10 Prozent des Einkommens […] herabgesetzt wird. Der Kampf geht weiter und wird schärfer« (diskus 1973: 48). Auf ihren Höhepunkt beteiligten sich bis zu 1.500 migrantische Arbeiter*innen und richtete sich auch gegen die Akkordarbeit in der Fabrik und die generellen Lebensumstände (amantine 2012: 16). Serhat Karakayali, der sich 2000 im diskus mit dem Häuserkampf und den Mietstreiks ausführlich beschäftigte, sah in den Mietstreiks gar eine materielle Fundierung antirassistischer Politik, die über einen damals bestehenden Antirassismus, der im Humanismus fußt, hinausweist. 

»Anstatt an das gute Gewissen der deutschen Öffentlichkeit zu appellieren, müssen soziale und ökonomische Bündnisse geschlossen werden. Anstatt die selbst rassistische Trennung in Deutsche und AusländerInnen zu zementieren, müssen nicht-identitäre Kriterien für antirassistische Politik erfunden werden. Dies ist in der Mietstreikbewegung ansatzweise passiert, weshalb es sich lohnt, auch den verlorenen Schlachten nachzugehen.« (diskus 2000: 47)

Der Hintergrund der Auseinandersetzung ist die betriebene Politik der Umstrukturierung Frankfurts von einer Handels- und Industriestadt zur sogenannten »Global City« und Finanzmetropole. Um Frankfurt als Bankenzentrale zu etablieren, wurde es als nötig erachtet große Teile der innenstädtischen Bevölkerung zu vertreiben, damit (Büro-)Hochhäuser entstehen konnten. »Die Aussicht auf umfangreiche Baumaßnahmen setzt dort eine Spirale von spekulativen Bodenkäufen in Gang« (Engelke 2021: 394). Durch die geplante Umwandlung der bürgerlichen und großbürgerlichen Villen im Westend zum Büro- und Bankenviertel »ergeben sich für die bisherigen Wohnungseigentümer*innen und vor allem die neuen, von Banken mit Krediten versorgte Investor*innen neue Möglichkeiten« (ebd.: 395). Sie ließen die Villen verfallen, vermieteten sie zu horrender Preis an Studierende und sogenannte Gastarbeiter*innen. 

Bis zu 20 Häuser wurden während des Frankfurter Häuserkampfes bis 1974 besetzt, es kam im Zusammenhang mit Räumungen zu Straßenschlachten mit der Polizei. Und so endet der – den kommenden Häuserkampf versprechende – Artikel im diskus über den aufkommenden Frankfurter Häuserkampf von 1971 mit der Feststellung, dass der politische Wert, die neue Qualität des Aktionszusammenhangs, gerade in der »antireformistischen Stoßrichtung« bestand: »Nicht die Auswüchse der kapitalistischen Verhältnisse gilt es anzugreifen, sondern diese Verhältnisse selbst« und wiederholt die uns heute wohlbekannte Parole »Macht kaputt, was euch kaputt macht – nehmt euch, was ihr braucht zum Leben!« (diskus 1971: 38)

Die ewig zukünftigen Gespenster

Damals – zum Zeitpunkt des Artikels im diskus – waren die Gespenster des Häuserkampfes eine zukünftige Bedrohung für die kapitalistischen Frankfurter Verhältnisse, den Weg in eine Finanzmetropole, eine Global City. Doch im Grunde sind die Gespenster der Hausbesetzungen immer zukünftig, denn man dürfe sie nicht wiederkommen lassen, wie beispielsweise der Frankfurter Polizeipräsident im März 2024 verkündete, als er bemängelte, dass es keine klare Linie bei Hausbesetzungen gäbe. Schließlich wurde die Häuserbesetzung schnell wieder gegenwärtig: 

»Es habe allein im vergangenen Jahr drei mitunter größere Besetzungen gegeben, an der Günderrodestraße, an der Jordanstraße und in der Dondorf-Druckerei. Seit einigen Tagen sei ein viertes besetztes Gebäude, das frühere Berger Kino, hinzugekommen.« (FAZ 2024). 

Vergessen hatte er bei seiner Aufzählung das Café Rabe in der Jordanstraße. »Wenn die Menschen das Gefühl bekommen, dass sich am Ende Rechtsbruch lohnt« sei dies ein völlig falscher Weg, sagte er. 

Worin besteht dann der Unterschied? »Ist es der Unterschied einer vergangenen Welt – als das Gespenst noch eine zukünftige Drohung darstellte – und einer gegenwärtigen Welt, heute, wo das Gespenst eine Drohung darstellt, von der manche gern glauben möchten, daß sie vergangen sei, und deren Rückkehr man immer noch, immer noch in der Zukunft, bannen müßte?« (Derrida 2004: 61) In beiden Fällen wird das Gespenst als Bedrohung empfunden. Es fordert die bestehenden Verhältnisse heraus. Es beschwört den grundlegenden Widerspruch der Wohnung als Ware und Grundbedürfnis. 

Heilige Hetzjagd

Doch wenn das Erbe des Frankfurter Häuserkampfes übernommen wird – und dies ist notwendigerweise der Fall –, dann stellt sich die entscheidende Frage der Niederlage. Das Erbe re-affirmieren heißt deshalb, dass es radikal verändert werden muss, denn das »Erbe ist niemals ein Gegebenes, es ist immer eine Aufgabe« (Derrida 2004: 81). Stellte der besagte diskus-Artikel noch die »Gewalt der Hausbesitzer«, die »Gewalt des Wohnungsmarktes« die »Gewalt dieses Systems«, in den Vordergrund, so wendeten sich die selbsterklärten führenden Personen Hausbesetzungsbewegung in Frankfurt, wie Joschka Fischer und Daniel Cohn-Bendit, ab und kritisierten den linken »Militantismus«. Es kommt zur Verparlamentarisierung, die ihre Vollendung der Grünen Partei findet (Engelke 2021: 407). Zur gleichen Partei gehört Angela Dorn, die ehemalige Kultus- und Wissenschaftsministerin von Hessen, auf deren Geheiß Enrico Schleiff, Präsident der Goethe-Universität, 2023 die Dondorf-Druckerei zweimal gewaltsam von der Polizei räumen ließ. In einer Pressemitteilung des Goethe-Universität hieß es im Dezember, das Präsidium der Goethe-Universität fordere die Besetzer*innen nach der zweiten Besetzung erneut auf, nach einem »gewaltsamen Eindringen« das Gebäude »umgehend zu verlassen«. 

In der Krise des neoliberalen Kapitalismus, dem unweigerlich existenziell-bedrohenden schlittern in den Klimakollaps, scheint dieses Erbe des Häuserkampfes – die Integration der Führungsfiguren in den Herrschaftsapparat und die Umkehrung der Frage der Gewalt – zwei der entscheidenden Aufgaben zu sein. Denn diesmal wird sich alles radikal ändern müssen, damit zum Leben etwas bleibt. Und das heißt in Anbetracht des krisenhaft Bestehenden, dem gewaltsamen ›so weiter‹ in der Klimakrise, ein Abrissmoratorium für alle Gebäude in Frankfurt und ›Bauen im Bestand‹ statt ›Bauen, bauen. Bauen‹, um die ›Graue Energie‹, die getane Arbeit, also die verdinglichte, tote Arbeit, vor Zerstörung zu bewahren und verausgabte Energie zu erhalten (Geisler 2024). Es wird Zeit, dass Widerstand gegen die gewalttätigen Folgen der Klimakatastrophe und der sozialen Kaltschnäuzigkeit kapitalistischer Akkumulation geleistet wird. Das heißt auch die Aneignung von Luxusleerstand, leerstehenden Büroflächen und Leerstand im Allgemeinen zum Wohnen und zur Nutzung für die, die sich keine fünf Euro für ein Bier leisten können. Und so muss erneut die alte Formel beschworen werden, die bereits ab den 1970er Jahren die Hausbesetzungsbewegungszyklen prägte: »Die Häuser denen, die drin wohnen!«

Es geht ein Gespenst um in Frankfurt – das Gespenst des Häuserkampfes. Alle fossil-kapitalistischen Mächte Hessens haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dies Gespenst verbündet, der Ministerpräsident und die städtische Wohnbaugesellschaft, Enrico Schleiff und Angela Dorn, internationale Investor*innen und Frankfurter Polizist*innen (MEW 4: 461). 

Das Gespenst des Häuserkampfes war und wird zukünftig gewesen sein. In diesem Sinne:

»Es hat gerade erst angefangen.

Aneignung Jetzt – Venceremos!« (amantine 2012: 8)