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Frankfurter Hochhaus-Silhouette

Zur Kampagne »Wohnraum gesucht«

Einmal im Jahr, meist zum Start des Wintersemesters, empfängt Enrico Schleiff, Präsident der Goethe-Universität, einen Redakteur der Frankfurter Rundschau. In den letzten Jahren war es George Grodensky, der in den heiligen Hallen des Präsidiums zu einem Exklusivinterview eingeladen wurde. Darin zu lesen ist dann geballte heiße Luft, neoliberal weichgewaschenes Marketing-Sprech. Fehlt nur noch, dass Schleiff mit dem E-Roller und Sneakern zur Arbeit kommt. Zwischen viel zu langen Werbeblöcken für die nicht mehr exzellente Forschung an der Spitzenuniversität, maßt sich Grodensky an, ein paar kritische Nachfragen zu stellen. Zur Dondorf-Druckerei, zum neuen – seit 20 Jahren nicht gebauten – Studierendenhaus oder Schleiffs generellen, autoritären Umgang mit viel zu rebellischen Studierenden. Das ehrt ihn, also Grodensky, nicht Schleiff. 

Im Interview von Ende September 2024 ging es dann tatsächlich auch um die Wohnraumkrise. Für Studierende »eines der größten Probleme«, wie Schleiff betont. Man sei dazu auch in Gesprächen »mit umliegenden Kommunen«, um »Liegenschaften zur Verfügung zu stellen, um Wohnheime für Studierende zu ermöglichen«. Erklärtes Ziel sei es, betonte Schleiff in schönster feudalen Gutsherrenmanier, in Oberursel oder Bad Homburg junge Studierende anzusiedeln. Dies belebe ja immerhin die »Kneipenszene« und bestimmt gebe es dann – nach den ausufernden Kneipenabenden in der hessischen Provinz – noch ein paar Start-up-Gründungen. Also eine Win-Win-Win-Situation… für alle. Klar.

Wohnraum gesucht

Was sich etwas humoristisch lesen lässt und auf Schleiffs Unverständnis für die Lebensrealität von Studierenden verweist – wir ignorieren an dieser Stelle einfach die Ansiedlungsphantasien –, offenbart allerdings auch, wie schwierig die aktuellen Wohnverhältnisse in Frankfurt sind. Dass Oberursel und Bad Homburg als Lösungen präsentiert werden, macht klar, dass bezahlbarer Wohnraum für Studierende und andere in weiter Ferne sind, wörtlich gemeint.  

Laut einer Auswertung des Moses Mendelssohn Instituts in Zusammenarbeit mit der Plattform wg-gesucht liegt der durchschnittliche Mietpreis für ein WG-Zimmer in Frankfurt am Main mittlerweile bei 680 Euro im Monat. Im Vergleich zum Vorjahr, als der Durchschnittspreis noch bei 630 Euro lag, entspricht das einer Erhöhung von fast 8 Prozent. Damit ist Frankfurt der zweitteuerste Studienstandort in Deutschland – nur München übertrifft diesen Wert mit einem mittleren Preis von über 700 Euro pro Zimmer. Die aktuelle BAföG-Pauschale für Wohnen beträgt 380 Euro. 

Gegen die akute Wohnungsnot hat die Goethe-Universität gemeinsam mit dem Studierendenwerk das Onlineportal »Wohnraum gesucht« gegründet. Dort wird appelliert: »Jede Form des privaten Wohnraums, ob zeitlich befristet oder mit Mindestmietdauer, hilft!«. Schlanke 30 Angebote sind dort zu finden (Stand: Anfang Januar 2025). Benannt sind diese teilweise recht skurril: Wer will nicht in einer »2-Zimmerwohnung2-Zimmerin einer 4-Zimmerwohnung« wohnen? 

In Dreieichenhain, einem Stadtteil von Dreieich, das im Süden von Frankfurt liegt, gibt es beispielsweise ein WG-Zimmer für 610 Euro warm. Von dort sind es dann zwischen 46 Minuten und einer Stunde und neun Minuten zum IG-Farben-Campus. Fragt sich, wie attraktiv das für »finanzschwache sowie internationale Studierende«, für die das Portal hauptsächlich sein soll, ist. Ein anderes Angebot ist eine Zweizimmerwohnung in Liederbach im Taunus, nur 1200 Meter vom lokalen Bahnhof entfernt, für schlappe 800 Euro warm. Das könnte man sich potenziell teilen. Von dort sind es dann aber teilweise eine Stunde und 20 Minuten bis zur Uni – zuzüglich die 1200 Meter bis zum Bahnhof. Auch sollte man nicht allzu lange abends unterwegs sein, sonst fährt nichts mehr, was zumindest eine kurze Recherche ergibt. Eine Kneipenszene fehlt ebenfalls komplett. Bleibt nur noch die Start-up-Gründung. Mach euch bereit: das nächste Unicorn kommt aus Liederbach im Taunus. El Presidente Enrico sei Dank. 

Doppelte Krise

Findet man doch ein WG-Zimmer zu den statistisch-üblichen Preisen, findet man allerdings auch nicht den Luxus vor, wie er für 650 Euro zu erwarten wäre. Aus eigener dreijährigen Wohnerfahrung in Frankfurt kann ich folgendes berichten: Einmal drang so viel Wasser durch die Zimmerdecke, dass ich Töpfe darunter stellen musste. Lange reagierte der Vermieter überhaupt nicht, als ich ihm dann meinen Auszug angekündigte, wurde er unbequem und beleidigend – und auch nach über einem Jahr behält er noch die Kaution ein. In einer anderen Wohnung fiel mitten im Winter zwei Wochen die Heizung aus. Da gab es wenigstens eine Mietminderung in Höhe einer halben Monatsmiete. 

Nun trägt die aktuelle Wohnungsnot in mehrfacher Hinsicht zur Erosion kritischer Wissensproduktion und studentischer Bildungserfahrung bei. Und zwar in dem Sinne, dass viele Studierende, um sich das Leben in Frankfurt, leisten zu können, in umfangreicher Weise Lohnarbeit nachgehen müssen. Es handelt sich um eine Form des temporären, funktionalen Proletariats, indem Studierende zwar effektiv Kapital verwerten, aber mit der Hoffnung verbunden, nach dem Studium, eine bessere berufliche Position zu erlangen und damit nicht mehr an diese Klassenstellung gebunden zu sein. 

»Letztendlich werden die Studierenden also um das Studium und die Teilnahme an kollektiven Bildungs- und begrifflichen Prozessen gebracht. Sie können denken, dass sie studiert haben, aber es handelt sich um organisierte Halbbildung« (Demirović 2022: 302).

Nun, müssen wir aber Enrico Schleiff enttäuschen: Wir sind keine hoffnungslosen Idiot*innen seiner auf scheinbare Exzellenz getrimmten Bildungsfabrik, die unfähig sind, ihr eigenes Schicksal in die Hand zu nehmen. Auch wenn er es uns versucht einzureden, wir lassen uns weder in Dreieichhain noch Neu-Isenburg ansiedeln. Ob die aktuelle Vergesellschaftungsbewegung in Berlin oder die Besetzungsbewegung in Frankfurt, viele Zeichen deuten darauf hin, dass das Negative nicht triumphieren muss. Wir können andere Wohnverhältnisse schaffen. Mit dem Kampf darum haben wir bereits begonnen.  So oder so ähnlich haben auch schon andere angefangen, Frankfurt und die Republik zu verändern.