ein immergleicher flirrender tag
lyrik von emmi esefeld
Unter der Kuppel steht die Zeit, doch die Uhr läuft
s geht nirgends nach damals, damals is hier
man hört, die 90er wärn zurück
jener wirre Zwischenzustand sei nun Dauerzustand — mit Leberzirrhose
die warn doch nur im knast oder auf harz, die wenigsten ham rüber gemacht
oder warn dort wegen der Keschelei1, zum malochen, west-lohn
fort warn sie nie
ich wollt gar nich so weit weg, bin nun nur selten da
am immergleichen Hitzetag
wo ich mich selbst rauschen hör
mir geht auf n weites Blau überm Phantasma einer Wasserrutsche
oben Himmel, unten Straße, freie Sicht ins Nichts
hier fühlt sich weltuntergang ma gar nich so irreal an
der Teer hat 36 grad, daneben tragende Obstbäume in ner Chaussee, darinder dürres Korn, dadrauf fette Strommasten, dadrüber halbkranker Wald
– überall idyllische ruhe
Betonplatten links führn längst nich mehr zur landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft, sondern nem selbstorganisierten spatzenhort
aber keine sorge, tesla und intel kommen auch zu dir, an dein ort
»hier entsteht silicon saxony«
alles fast genauso wie immer, denk ich
trends kommen spät, außer feixend an der wahlurne
zukunft will nich so richtig? >
druffe Gören in Leggins vor pimmelskizzen am BH2, Grenzgaenger3 lassen ihre Simmen4 dröhnen
maulige Alte an lackabplatzenden Eisengittern vor schieferplattengedeckten Häusern
paar zerfledderte bunte Wimpel von der letzten Dorfkirmse, warn dolles fest
in Kleinstädten »ausländer«, paar mehr, am Schultern hoch- und Kopf einziehen
alles schön gepflegt und daneben organisch zerfallen, ordnung muss sein
präsente Werbeschilder: »zu verkaufen« und mcces-logo: 6km dann rechte Ausfahrt
dadran vorbei rast n generischer schwarz-böseschauender audi, auf der Anhängerkupplung n blutiger puppenkopf
hoffentlich fährste gegen die eiche da
hausecke: anti anti antifa
puh, immernoch da
Gefühl im Bauch wie damals, nur damals keine Ahnung, was das war
dieses heimatgefühl is in ner Schneekugel befangen — summer edition
aufbewahrt von uns nachwendekids
kannste schütteln: fliegt der staub rum, rieselt der staub runter, legt sich der staub drauf
eine erinnerung an uns fremde Zeiten, angeglotzt bis zur schmerzhaften Bekanntheit
ich kehr zurück unter die kuppel, trotzdem und gerade weil
im westen hälts mich nich mehr lang, schlimm wärs ja überall, so hört man
teil ich mir halt da die Luft mit heimatspinnern, statt wie hier mit yuppieschweinen, verpestet isse überall
jetze genug defätismus aber auch, aber no future
angekomm daheim: montier die Schneekugelkuppel ab, werf sie auf die 90er, die fast die 30er sind
– der herbst beginnt
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1
Kescheln: von Kind und Kegel (uneheliche Kinder) - „Keschelei“ Wort für Kinderschaft
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2
BH: so nannten wir Busbahnhöfe. Orte, wo wir uns in der 6./7. Klasse zum Mix-Bier saufen getroffen haben
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3
Grenzgaenger: in den 2010ern gehypte Merchandise-Motorradmarke, ganze „Motorradgangs“ statteten sich damit aus, machten Vlogs etc., scheinbar nach wie vor beliebt
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4
Simme(n): Simson-Fabrikate (Mopeds aus der DDR, heute lebendiges Ostalgie-Produkt)