Die »Letzte Generation« — ein Aphorismus
»Die Erde ist dann klein geworden, und auf ihr hüpft der letzte Mensch, der alles klein macht. Sein Geschlecht ist unaustilgbar wie der Erdfloh; der letzte Mensch lebt am längsten.
»Wir haben das Glück erfunden« – sagen die letzten Menschen und blinzeln.
{…} Man arbeitet noch, denn Arbeit ist eine Unterhaltung. Aber man sorgt, daß die Unterhaltung nicht angreife.
Man wird nicht mehr arm und reich: beides ist zu beschwerlich. Wer will noch regieren? Wer noch gehorchen? Beides ist zu beschwerlich.«
- Friedrich Nietzsche (Also sprach Zarathustra)
So wie Friedrich Nietzsche mit seinem deutlichen Aphorismus die Gleichgültigkeit, List und Ironie des »letzten Menschen« pointiert, schimmert in der modernen Welt eine Tendenz auf, die sich wahrlich als beunruhigende Annäherung an einen gleichgültig gewordenen »letzten Menschen« im westlichen Kapitalismus beschreiben lässt. Wahnhaft in den Untergang gleitend, im Glauben daran, das Glück in der Akkumulation von Geldscheinen entdeckt zu haben, gibt er seine Ohnmacht nicht preis, spürt sie aber heimlich im Inneren. Bevor sie ihn zerreißt, oder in Machtfantasien des Faschismus abdriftet, gilt es einen Weckruf in den Menschen auszulösen und der Tendenz etwas entgegenzuhalten: aufzuzeigen, dass das Potenzial einer letzten Generation mehr als je zuvor anwesend ist.
Das minimale Augenzucken der westlichen Politik erheischt in der Klimadebatte den Charakter eines Alibi-Lufthauches, den man in die Welt pustet, damit er da ist, um ihn zu spüren, aber nichts zu bewirken. Alle sollen ihn riechen können, den scheinbaren Lufthauch einer Politik, die sich mit einfachen Mitteln der Kompensation begnügt und als Pustekuchen auch nur ein Pustekuchen bleibt, mit dem sich kein Kartenhaus zu Fall bringen lässt. Das Kartenhaus wäre, als eines des westlichen Kapitalismus, der in den Fallraum zu bringende Target, den sich der moderne Mensch aussuchen müsste, um vielleicht nicht als der oder die Letzte am Boden seiner Generation zu enden. Doch die politisch-wirtschaftliche Synergie verspricht weiter den Anschein einer heilen Welt, sich in der trügerischen Sicherheit zu wähnen, weiter den Schwips am Abend und den SUV in der Stadt parkend den Luxus genießen zu können, während das Schiff bereits untergeht und den Eisberg des Klimawandels schon lange hinter sich gelassen hat. Vieles wurde nicht gesehen, blind mit den Augen vielleicht nur mal gezuckt, keine Bewusstheit, eher ein unbewusster Strom, der von diversen Machtinteressen und anderweitigen Spielereien geleitet wurde, hat die Politik der westlichen Demokratien, mit den goldenen Jahren um die Jahrtausendwende, zufriedengestellt und auch in die Krisensituationen geleitet, die jetzt das Verhängnis ihrer selbst werden.
Ein Tornado von Veränderung wäre notwendig für die Transformation einer Welt, deren Errichtung die eigene Abschaffung schon innerlich angelegt zu haben scheint. Doch alsbald kreist im Nimbus der Hoffnung auf eine lebenswerte Zukunft, noch etwas von der Verantwortung, die den Menschen erst wahrhaft menschlich werden lässt. Die Zukunftserzählung komplett auszuhauchen wäre der Fehler, der jetzt nicht in das Echo hineingenommen werden darf.
Die Zukunft ist nicht verschwunden, keine Generation die absolut letzte, solange die Potenziale auf eine Veränderung noch aufschimmern können. Die Vermittlung verschiedener Standpunkte kann nur durch eine erfolgreiche Ent-Polarisierung erfolgen. Radikale Positionen nehmen dem Diskurs mittlerweile jegliche Einigkeit, weil dann doch viele Subjekte mit der Möglichkeit, etwas zu verändern, abschließen, oder eben lieber glauben, es könnte alles beim Alten bleiben. Wahnhaft erscheint die Idee, dass sich nichts ändern könne und das Leben so weitergeht, andererseits genauso unwahrscheinlich aber auch die Idee, dass wir heutzutage nun wirklich die »Letzten« unserer Generation sind. Doch im Hinblick symbolischer Übertreibungen erscheint der Slogan als durchaus gerechtfertigt. Übertreibungen bahnen sich ihren Weg durch die Gleichgültigkeit der Gehirnzellen mancher Einheitsdenker und eröffnen neue Wege, die dann in wirklichen Taten zur Veränderung münden können. Doch Angst ist der Feind. Übertreibungen sind auch nicht frei von der Furcht vor einer Zukunft, die es angeblich nicht mehr gäbe. Sobald die Zukunftserzählung die Potenzialität einer Zukunft wieder aufnimmt, könnte die Angst gemildert werden und auch eine zur Handlungsunfähigkeit führende Schockstarre vermieden. Angst macht den Geist trübe und verbleibt in der Reaktion, niemals der Reflexion gemäß. Im Bewusstsein, dass es eine Zukunft geben kann, wenn wir Veränderungen hervorrufen und Verantwortung wahrnehmen, liegt die Hoffnung, während in der Erzählung, dass es keine Zukunft mehr gibt, nur die Resignation lauern kann.
Doch die den Subjekten zwanghaft auferlegte Gleichgültigkeit im Warenkapitalismus und die absolute Verschränktheit von Politik und Wirtschaft, impliziert in der genaueren Betrachtung den Anschein eines nicht mehr abzuwendenden Verhängnisses.
Die »letzte Generation« erscheint als eine sprachliche Radikalisierung, zur Darstellung der absoluten Dringlichkeit neuer Handlungssphären, in einer Situation, die den Menschen den Atem stocken lassen.
Bisweilen nimmt der Protest und das alarmistische Subjekt eine Stellung in der Gesellschaft ein, die allzu prekär am Horizont aufscheint. Politische Positionen werden mit wirtschaftlichen Interessen vermittelt und müssen dem entfremdeten Gesellschaftssystem, eben sinngemäß einer verwalteten Welt nachstrebend, zugeführt werden, sodass der Verdacht aufkommen mag, jegliche Anstrengungen verliefen sich im Sande. Zudem gelingt es den faschistoiden und autoritären Tendenzen in der Demokratie, einen Durchbruch und Aufwind in der Situation des Alarmismus zu erlangen. Dialektisch wird die instabile Demokratie als Hort von Ideologien genutzt, um mehr Menschen auf die Seite derer zu ziehen, die nicht abgeneigt wären, in den nächsten Jahrzehnten wieder einen Führer zu etablieren, weil sie sich ihrer Ohnmacht nicht bewusst werden und die Ansprache des »Es wird alles gut« und »Es ist alles das Wetter« wie eine Gehirnmassage wirkt.
Selbstverwaltete Räume wie das Café KoZ sind eine Möglichkeit, um Energien zu mobilisieren und politischen Mächten, die bisweilen noch in der Abhängigkeit wirtschaftlicher Interessen des Kapitalismus gefangen scheinen, einen Ausweg anzubieten. Die letzte Generation ist nicht die letzte, dafür sind die Kräfte zu stark und die Hoffnung über das »Noch-Nicht-Daseiende« zu groß, sowie die Zukunft viel zu stark in den Köpfen aktiv, als das sich davon sprechen ließe, dass es sie nicht mehr gäbe. Doch wie sie aussieht und welchen Wohlstand die Menschen in den nächsten Jahrzehnten und Jahrhunderten genießen dürfen, speist sich allein aus den Entscheidungen, die heute getroffen werden. Daraus ergibt sich die unglaubliche Dringlichkeit und Relevanz eines Alarmsignals, dass in einer dezidierten und intentionalen Entschlossenheit stark nach außen getragen wird: eben die Relevanz der sprachlichen Darstellung einer »letzten Generation« , deren Potential in der Zukunft schlummern mag. Jene Form der Aufklärung einer Welt, die gerade die Alarmsituation als Weckruf benötigt, muss sich ebenfalls auf sich selbst besinnen und reflektieren. Moralisierende Einstellungen, polare Radikalisierungen und fehlende Offenheit für den Dialog, sind Kennzeichen einer sich selbst wieder verkehrenden Aufklärung, die dialektisch das Gegenteil des Gewollten hervorbringt und den rückschrittlichen Faschisten Vorschub leistet, nichts an der Situation ändern zu müssen, weil »an die Straße kleben« ja keine Maßnahme sei.
Sobald sich Angst durch ihre eigene Konfrontation in Handlungsenergie verwandelt, die dialektischen Rückschritte faschistoider Gedankengüter eingedämmt und aufgeklärt werden können, aber die Aufklärung sich selbst auch wieder reflektieren kann, ohne sich zu verkehren, bleibt die Hoffnung bestehen, dass politische Forderungen, von dem Pustekuchen eines Lufthauches, zu einem Sturm der Transformation werden, welcher, im richtigen Zeitpunkt, keine letzte Generation zulassen möchte.