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Ein brennender Planet mit Sprechblase "This is fine"

Wir brauchen heute keine Hellseher, um aus den Eingeweiden der letzten Generationen die Zukunft zu lesen: noch weniger Zukunft bleibt. Denn die Alternative zwischen Sozialismus und Barbarei, Revolution und Auslöschung lässt sich nicht mehr zuspitzen. Doch die Generation Z kämpft für ihre Zukunft, die Zukunft überhaupt, die lange schon verloren scheint.

Egal ob Apokalypse, Ragnarök oder der kulturindustriellen Darstellung von Maya-Kalendern, Weltuntergangszenarien beflügeln immer schon die menschliche Fantasie, schüren Ängste, wecken Hoffnungen. Das Ende der Welt bedeutet auch das Ende alles Alten und Bekannten, womöglich sogar einen neuen Anfang oder schlicht das Ende aller Dinge und totale Auslöschung.

Wir sind also sicher nicht die erste Generation, die sich vom Weltuntergang bedroht fühlt. Was aber aktuelle Szenarien von den angeführten Mythen unterscheidet ist die Wirklichkeit. Naturkatastrophen, Artensterben, Verwüstung, blankpolierte Atomsprengköpfe und Militärparaden, dafür braucht man keine Fantasie. Das alles ist live auf Sendung. Während die Apokalyptik von rächenden Göttern rührt, ganz weltfremd bleibt wie diese, bedroht uns heute unsere eigene, irdische Entwicklungstendenz.

Bereits Kant bezeugt sein Bewusstsein hierfür, angesichts des weltverheerenden Feuers, das die kolonialen Großmächte seiner Zeit allen Orts schüren (insbesondere im sog. Siebenjährigen Krieg). Deutlich spricht er seinen Zweifel an der Überlebensfähigkeit der Menschheit aus: Entweder findet die Menschheit ihren ewigen Frieden auf oder unter der Erde. Entweder leben die Nationen untereinander in Frieden oder die Menschheit wird sich weiter selbst zerfleischen und zuletzt ins Grab bringen. Misslingt der Frieden auf Erden, tosen weiter die Waffen, dann herrscht bald überall Friedhofsruhe.

Doch die Totenstille ist heute bedrohlicher, als Kant es sich jemals hätte albträumen  lassen. Denn seit Hiroshima steht alles auf dem Spiel. Nicht allein das menschliche, nicht allein das heutige Leben. Der Overkill droht alles Erdenleben unter die Erde zu bringen. Der Overkill bedroht die Welt wahrlich mit ewigem Frieden. Dabei dröhnt die Totenstille des Nicht-Krieges in der Zwischenzeit so unerträglich wie noch nie. Selbst wenn die Bombe nicht gezündet wird, ist ewiger Frieden doch nur Kalter Krieg, Gleichgewicht des Schreckens.

»Der Friede, der sich zu erkennen gibt, ist durch die fortschreitende Gefahr eines kollektiven Selbstmords erzwungen worden; das Überleben der Menschheit ist angesichts des Vernichtungsinstrumentariums nicht mehr gewiss. Eine neue, weltweite balance of power ist im Entstehen.«1 Heute aber ist die Totenstille zerrissen, es kreischen die Sirenen und selbst das schreckliche Gleichgewicht gerät augenblicklich ins Wanken. Der Krieg wird wieder heißer.

Die Entwicklung der Produktivkräfte versprach der Menschheit die Möglichkeit, sich aus dem bewusstlosen, gewaltsamen Naturzusammenhang zu emanzipieren, um endlich Autorin ihrer eigenen Geschichte zu werden. Dies meint planmäßige Anwendung und harmonische Entfaltung aller verfügbaren Kräfte: menschlicher wie außermenschlicher. Denn Kommunismus = Humanismus = Naturalismus. Doch die Revolution blieb aus. Die Menschheit überwand ihre Naturwüchsigkeit, indem diese in die Gesellschaftsunordnung einging. Statt nunmehr die Entwicklung menschlicher Anlagen im Einklang mit den außermenschlichen voranzutreiben, entfacht die zerrissene Menschheit die zügellose Entwicklung der Destruktivkräfte, ihren enormen Willen zu nichts als Vernichtung. Hiermit gehen auch die immer grausamere Erniedrigung und Ausbeutung der Natur, der Grundlage allen lebenswerten Lebens und aller Wertschöpfung, einher. Die Bewältigung der Naturgewalt schlug um in Vergewaltigung der Naturgewalt. Sie droht nunmehr in ihrer totalen Erschöpfung zu münden. Die Entkräftung der Natur in irreparablem Ausmaß lässt fraglich werden, ob durch Entwicklung, Aneignung und Kontrolle der Produktivkräfte, durch glückliche Revolution, künftig noch lebenswertes Leben zu realisieren ist. Alle Produktivkraft ist wertlos ohne fruchtbare Naturkraft. So ist nicht gesichert, wie lange die Gleichung »Kommunismus = Humanismus = Naturalismus« noch aufgeht, wie lange Versöhnung mit der (außer-)menschlichen Natur noch möglich ist, bis Überleben schließlich wirklich nur noch als Kampf ums letzte bisschen Dasein möglich ist.

Der Kapitalismus entwickelte und verhinderte zugleich die Möglichkeit, aus dem Naturzustand (bellum omnium contra omnes, Krieg aller gegen alle) ein für alle Mal auszusteigen. Wird aber die Naturkraft weiter vernichtet, ist diese Möglichkeit bald völlig und unwiederbringlich verwirkt. Die Alternative zwischen Sozialismus und Barbarei bestünde dann nicht mehr. Das nackte Überleben geböte den Menschen in der letzten Stunde bloß Barbarei und noch mehr Barbarei.

Ist die Generation Z also die letzte Generation, die auf dieser Erde noch leben kann? Sicherlich nicht. Doch ist zu fürchten, dass sie die letzte Generation mit einer Wahl zwischen echten Alternativen und der Chance auf Versöhnung sein könnte. Dies zu verhindern ist das Gebot der Stunde, die Verantwortung unserer Generation für alle künftigen.

Es ist die Grabesruhe der abtretenden Generation, die sich sagt: »Nach uns die Sintflut.« Aber das Wasser steht uns heute schon zum Hals, sodass wir mehr denn je aufeinander angewiesen sind. Unser Werk kann nicht das Werk einer Avantgarde sein, denn es kann nur allen gemeinsam gelingen, das Offensichtliche abzuwenden. Die drängenden Fragen unserer Zeit betreffen alle Generationen: besonders die Umweltkatastrophe, aber auch die Atom- und Migrationsfrage, die Erneuerung unseres Sozial-, Renten- und Gesundheitssystems u.v.a. Solche Fragen betreffen unser Verhältnis zueinander. Ohne ihre rasche Lösung wird ein Miteinander der Genera, Generationen und Nationen, d.h. lebenswertes Leben für alle, künftig nicht mehr möglich sein. Darum ist die Losung so klar: Leben aller Genera, Generationen und Nationen vereinige dich!

  • \ \ \ 1

    Heydorn, Heinz-Joachim (1974/2004): Überleben durch Bildung. Umriss einer Aussicht. In: Werke (Bd. 4). Wetzlar: Büchse der Pandora, S. 264.