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Kuba erlebt gerade die größte Wirtschaftskrise seit der Revolution. Keine gute Zeit zum Reisen? Doch! Traumstrand, Mojito und Cohibas: Kuba ist für Pauschaltouristen schon lange ein gefragtes Reiseziel. Und für Linke? Weder Che-Guevara-Shirt noch Kubasolidarität ein Thema? Dabei gilt Kuba als die letzte Bastion des real existierenden Sozialismus. Was ist aus der Idee einer befreiten Gesellschaft geworden? Wie geht es den Kubaner*innen? Nur Armut, immerhin für alle? Unsere Autorin hat auf einer sogenannten »Brigadereise« das Land kennengelernt und schildert die erlebten Widersprüche.

HOLAaus einem ganz besonderen Land. Kuba ist so schön altmodisch. Steige ein in ein pinkes oder goldenes Oldtimer-Taxi und lass dich durchs größte Open-Air-Architekturmuseum der Welt kutschieren, wie jeder Reiseführer über Kuba schreibt. Nur auf Kuba können prächtige Kolonialbauten im barocken, klassizistischen oder historistischen Stil neben eleganten Jugendstilhäusern und Art déco bis hin zum Brutalismus sowjetischer Art bewundert werden. Wo sonst gibt es eine Stadt ganz ohne Reklame, stattdessen »Viva Fidel!” an den Wänden? Nimm dir ein Zimmer bei Einheimischen in einem der »Casas Particulares” und lächle über den Röhrenfernseher und die geflickten Sonnenschirme. »Hier wird nichts weggeworfen, sondern alles repariert! Das nennt sich kubanischer Erfindergeist«, bekam ich von einem älteren Ladenbesitzer zu hören, der sich auf die Reparatur und Befüllung von Einwegfeuerzeugen spezialisiert hat.

Ansicht einer Straße in Kuba

Doch spätestens, wenn – wie zurzeit täglich – das Licht ausgeht, der Kühlschrank nicht mehr kühlt und das Handy nicht geladen wird, weicht die Vintage- und Ökoromantik der Realität.

Über Kuba gibt es viele solcher unterschiedlichen Erzählungen. Linke beschwören unerschütterlich das Motto Ché Guevaras »Hasta la victoria siempre” (»Immer bis zum Sieg!”) aus dem Jahr 1965. Andere den perfekten All-Inclusive- und Partyort mit den schönsten Stränden und dem besten Rum. Naturfreunde die mangels Dünger und Spritzmitteln artenreiche Flora und Fauna. Neoliberale warten seit 66 Jahren auf den Untergang des letzten kommunistischen Reliktes einer scheinbar vergangenen Epoche. Ihre Erzählung lautet: keine Demokratie, keine Meinungsfreiheit, kein Coca-Cola, kurz: Teil der Achse des Bösen.

Welche Erzählung stimmt? Eine einzige und »richtige” Antwort gibt es nicht. Kuba wirkt auf mich, wie ich während meiner Brigadenreise erlebt habe, wie ein Land der Widersprüche. Und das ist oft schwer auszuhalten. Für mich gibt es eine Gleichzeitigkeit beider Seiten: Wertschätzung und Kritik an diesem letzten noch übriggebliebenen Versuch eines Staates mit einer anderen Gesellschaftsform als der unsrigen.

Um diese Gleichzeitigkeit erleben zu können, reicht kein All-Inclusive-Urlaub am Strand von Varadero. Eine politische Reise nach Kuba, hat mir dagegen alle Facetten des Landes der Disparitäten, also das Nebeneinander von Ungleichem, eröffnet. Denn Kuba ist nicht wie andere All-Inclusive-Orte. Es lohnt sich, abseits der Touristenpfade eine Menge über die Geschichte, das politische und ökonomische System, über die sozialpolitischen Errungenschaften der kubanischen Revolution bis hin zur aktuellen Situation zu erfahren, denn all das ist einzigartig, faszinierend – und momentan auch sehr deprimierend. Auf einer sogenannten »Brigadereise« konnte ich diese Erfahrung machen. 

Graffiti "Habana Frankfurt" auf Kuba

Solidarität und Salsa

Seit der kubanischen Revolution 1959 reisen Menschen aus aller Welt nach Kuba, um mit Freiwilligenarbeit das Land solidarisch zu unterstützen. Vor allem in den Anfangsjahren des von der Batista-Diktatur befreiten Kubas gab es diese »Arbeits-Brigaden”, um Schulen und Häuser mitaufzubauen und in der Landwirtschaft anzupacken. Aber auch als Mittel gegen den medialen Krieg gegen Kuba (»la Guerra mediática«), damit sich jeder vor Ort selbst ein Bild der Insel machen kann. So war die Feldarbeit nur ein Teil meiner intensiven Reise, bei der ich viel über Kuba erfuhr und Verständnis gewann.

Ich war bei der »Nordischen Brigade” (José Martí) dabei, die jedes Jahr von Mitte Dezember bis Anfang Januar stattfindet. Meine Mitreisende kamen unter anderem aus Schweden, Dänemark, Griechenland und Deutschland. Nach einem dreitägigen Aufenthalt in Havanna erreichten wir per Reisebus über Piñar del Rio und Viñales unser Ziel: das Internationale Camp »Julio Antonio Mella” in der Provinz Artemisa. Untergebracht waren wir 70 »Brigadistas« in einfachen Baracken mit Mehrbettzimmern und Sanitärräumen. Wir arbeiteten auf den Feldern in der Nähe des Campamento. Und zwischen freilaufenden Hunden, Kühen und Schafen befreiten wir die prächtigen kubanischen Königspalmen von trockenen Blättern. Bei tropischem Klima eine schweißtreibende Angelegenheit, im Dezember aber erträglich und die Erfrischung aus den aufgeschlagenen Kokosnüssen willkommen. 

Bei der Feldarbeit oder einem Vortrag hatten wir die Möglichkeit, Kubaner*innen kennenzulernen und am Abend das Tanzbein zu schwingen: Son, Mambo, kubanischer Salsa (»Casino”) und Rumba, die »Sprache der Straße”. In der Gruppe der 70 »Brigadistas« besuchten wir Krankenhäuser, Schulen, Monumente, Altersheime und medizinische Forschungszentren. Auch haben wir im Zentrum für »Genetic Engineering and Biotechnology« einen Einblick in die Forschungsschwerpunkte Kubas erhalten. Das ging von erfolgreich getesteten Diabetes-Behandlungen bis zu drei verschiedenen Impfstoffen, die in Corona-Zeiten entwickelt wurden. Da das sozialistische Land aufgrund von zu hohen Preisen von der internationalen Gemeinschaft keinen Impfstoff einkaufen konnte, musste es selbst für das Überleben seiner Bevölkerung sorgen.

Auf der Reise fanden immer wieder Vorträge von Politiker*innen, Wissenschaftler*innen und Künstler*innen statt – ob tagespolitische oder kulturelle Themen, ob die kubanische Sozial- und Wirtschaftspolitik auf dem Programm stand: Immer wieder wurde ich aufs Neue überrascht, wie offen unsere Gesprächspartner*innen über die desolate Versorgungslage sprachen.

Beeindruckt hat mich ebenfalls sehr, eine Gesellschaft zu erleben, die nicht auf Individualisierung, Profit, Konkurrenz und Leistung ausgerichtet ist. Nicht der Wettbewerb, sondern Zusammenhalt ist – natürlich verstärkt durch die Mangelwirtschaft – die Norm.  Zum Beispiel in der nachbarschaftlichen Unterstützung. Man versorgt sich gegenseitig mit Essen und tauscht die Klamotten untereinander. Im Auftreten der Menschen zeigt sich der kostenlose Zugang zu Gesundheitsversorgung und Bildung. Physische oder psychische Verelendung in einem Ausmaß, wie ich es in Mexiko, Kolumbien und den USA erlebt habe, erlebte ich auf Kuba nicht – wenngleich der Inselstaat seit der Wirtschaftskrise ebenfalls ein Drogenproblem hat. Und eine Sache fällt allen Kuba-Besucher*innen auf: die Bedeutung von Kultur und Kunst — Musik und Tanz sind überall präsent!

Schild "Comite de Defensa de la Revolucion" auf Kuba

Das Licht geht aus: Kuba in der Krise

Die wirtschaftliche Lage überschattet die Errungenschaften der Revolution zunehmend. »Wir waren alle ›Fidelistas‹ (Anhänger*innen von Fidel), doch mit ihm starb auch Kuba. Seit seinem Tod funktioniert so vieles nicht mehr«, berichtete mir die Großmutter eines Freundes wehmütig.

Tägliche Stromausfälle, fehlendes Benzin, eine marode Infrastruktur lassen die Menschen verzweifeln. Häuser drohen einzustürzen und tun es, viele Dinge funktionieren nicht, es mangelt praktisch an allem, und was es seit 1959, dem Jahr der Revolution, so noch nicht gab: die Menschen haben Hunger. Wer kann, geht fort. Kuba leidet momentan an der größten Auswanderungswelle seit 1959. 1,2 Millionen Menschen haben seit 2022 die Insel verlassen, vor allem die Jüngeren und die Hochqualifizierten. Seit der Aufhebung der Visumspflicht im »Bruderland« Nicaragua Ende 2021 – eine Reaktion der kubanischen Regierung auf die Proteste vom 11. Juli 2021 – lässt der Staat die Unzufriedenen ziehen.

Diese Abwanderungen verschärfen die miserable Lage noch mehr. Dazu kommen Tropenstürme, ausbleibende Öllieferungen aus Venezuela und der Rückgang des Tourismus. Größtes Problem bleibt jedoch die US-Blockade. Sie wurde 1960 verhängt als Reaktion auf die Enteignung amerikanischer Unternehmen in Kuba, wurde mehrmals verschärft, zuletzt extrem in der ersten Amtszeit von US-Präsident Donald Trump. Sie verhindert, dass so viele notwendige Dinge wie Lebensmittel, Medikamente und Ersatzteile das Land erreichen. Darüber hinaus beschuldigen die USA Kuba, terroristische Handlungen zu unterstützen, und setzten es 2021 auf die US-Terrorliste. Seitdem kann Kuba mit fast niemandem mehr Handel betreiben. Auch Joe Biden verlängerte das Handelsembargo bis September 2025. Bis heute haben die Sanktionen nicht den beabsichtigten Effekt – den Sturz des sozialistischen Systems – erreicht. Allerdings glauben die Kubaner*innen nicht mehr den ewigen Rechtfertigungen der Regierung, die der Blockade die alleinige Schuld für viele Missstände im eigenen System zuschiebt.

Die Menschen sehen die selbstgemachte Misswirtschaft und Fehlplanungen, die eine ausreichende Versorgung der Menschen verhindern. Teure Produkte müssen importiert werden, darunter – kaum zu glauben – inzwischen sogar Zucker, mit dem Kuba früher die ganze Welt belieferte. Viele Importwaren kommen skurrilerweise aus den USA. So finden sich nordamerikanische Produkte in den Geschäften, sodass sich eine Unglaubwürdigkeit gegenüber der Regierung ausbreitet. »Auf der einen Seite erzählt uns die Regierung, die Blockade sei der Hauptgrund für all unsere Probleme und auf der anderen Seite sehen wir US-amerikanisches Hühnchen im Kühlregal liegen. Wir wissen langsam nicht mehr, was wir glauben sollen«, kommentierte eine junge Kubanerin.

Die kubanische Flagge weht, im Vordergrund ein Auto.

Die Reformen von 2010, die auch Privatisierungen zulassen (nicht bei Bildung und Medizin), greifen nur wenig. Auf der Straße ist viel Kritik an der Regierung zu hören und der Wunsch nach weiteren Wirtschaftsreformen und freien Medien, auch wenn Blogger inzwischen toleriert werden. Große Proteste wie im Corona-Jahr 2021 blieben bislang aus. Die Kubaner*innen sind durch die damalige Verhaftungswelle eingeschüchtert oder verlassen die Insel. 2024 waren es die ständigen Stromausfälle, die die Menschen erneut auf die Straße trieben.

Ich habe Kuba und seine Menschen kennen und lieben gelernt. Dass die Blockade fallen müsse, da sind sich alle Kubaner*innen, mit denen ich gesprochen habe, einig. Doch bis dahin muss auch auf der Insel einiges passieren. »Wir werden nicht aufhören zu lachen und zu tanzen«, sagte mir eine Kubanerin. Die Regierung versucht inzwischen, mit chinesischer und russischer Hilfe bei der Nutzung von Solarenergie nachzurüsten. Es wäre den Kubaner*innen zu wünschen, dass auf der Insel wieder jederzeit das Licht angeht und die Menschen wieder laut rufen können: »Venceremos!«

Graffiti gegen die Blockade Kubas.