Direkt zum Inhalt
Eine Person mit dem Gesicht von Michel Foucault zuckt mit den Schultern unter einer Diskokugel, im Hintergrund lauter kleine Sterne

Rausch

Was folgt eigentlich für uns in einer Welt, die sich ohne Limits in die Krisen stürzt? Womöglich folgt der Wunsch, sich in andere Welten zu flüchten.

Einsendungen bis zum

zeitung [at] asta-frankfurt.de (Beitrag einsenden )

»Der Himmel ist explodiert, und die Sterne regnen auf mich herab.« 

Michel Foucault (während eines LSD-Trips)

Im Juni berichteten etliche Medien über den aktuellen Weltdrogenbericht der Vereinten Nationen, der für das Jahr 2023 bei der Zahl der Drogenkonsument*innen einen Anstieg von circa 28 Prozent verzeichnet. Um diese Entwicklung wahrzunehmen, brauchen aber vermutlich die wenigsten einen UN-Bericht. Meist reicht schon ein Blick in das eigene Umfeld, die Erinnerung an das letzte Wochenende oder ein Blick auf Social-Media. Begriffe wie »Keta«, »Koksen«, »ballern« scheinen in aller Munde zu sein und haben bereits den popkulturellen Mainstream erreicht. Die meisten wissen sofort, was gemeint ist, wenn von der kaputten Nasenscheidewand oder dem Emo-Kater gesprochen wird.

Dabei sind die Schäden an Schleimhäuten und das Dopamin-low am Tag danach nur zwei von etlichen Folgen, die regelmäßiger Konsum auf Körper und Psyche hat. Je nach Droge kann es zu körperlicher Abhängigkeit und der Veränderung von Hirnstrukturen kommen. Das Spektrum möglicher psychischer Konsequenzen reicht von der emotionalen Verstimmung über dauerhafte Wesensveränderungen hin bis zur Entwicklung psychischer Erkrankungen wie Depressionen oder Psychosen. Angesichts dieser Vielzahl an Folgen stellt sich die Frage: Warum konsumieren wir eigentlich (immer mehr)? Geht es hier um das fehlende Wissen und die fehlende Vernunft und Disziplin junger Menschen? Oder ist der Drogen-Boom vielleicht eher das Symptom einer kaputten Leistungsgesellschaft in Kombination mit den sich verstärkenden Krisen des Kapitalismus, die sich manchmal selbst wie ein ausgereifter Bad-Trip anfühlen?

Längst wird nicht mehr nur im Party-Kontext konsumiert. »High-Performer« greifen im Alltag zu leistungssteigernden Substanzen; die Kippe zwischendurch, das Bier und/oder der Joint am Abend dienen zur Stressbewältigung im Alltag; wer es sich leisten kann, fährt in irgendein Retreat nach Südamerika um halluzinierend nach Antworten auf die großen Fragen des Lebens zu suchen. Nicht nur die Antworten lassen sich inzwischen Lohn- und Carearbeit und anderen gesellschaftlichen Zwängen schwer finden, meist bleibt nicht mal die Zeit, sich entsprechende Fragen zu stellen. Ganz der Logik der Effizienz folgend, mag es sinnvoll erscheinen das lieber schnell auf einem (Urlaubs-)Trip zu erledigen, als sich längerfristig mit den gesellschaftlichen Ausbeutungs- und Herrschaftsdynamiken zu befassen. Und selbst wer dies tut, gerät angesichts der schieren Ausweglosigkeit schnell in Verzweiflung. Selbst Karl Marx scheint im Rausch viel gefunden zu haben.    

»Mehr als aller Medizin verdanke ich dem Bordeaux.« 

Karl Marx

Ist der Rausch nüchtern betrachtet also die einzige Flucht, die angesichts eines durchgetakteten und unter dem Leistungsdruck erstickenden Leben im Spätkapitalismus noch möglich ist? Kann man wirklich verurteilen, wer sich mit Blick auf eine immer düsterer erscheinende Zukunft – wie sie u.a. unsere letzten Ausgaben zu Entgrenzung und Faschismus gezeigt haben – regelmäßig für den Rausch entscheidet? Denn letztlich besitzt der Rausch auch die enorme Kraft, die »Dinge aus ihrer gewohnten Welt« zu »locken und lockern«, wie etwa Walter Benjamin schrieb.

Somit geht mit dem Rausch also nicht nur Realitätsflucht einher, sondern auch das Sich-Wiederfinden in einer »anderen Welt«. Welche neuen Perspektiven wohnen dem Rausch also inne? Und steckt im Hedonismus vielleicht sogar ein Stück Widerstand – als ein bewusst berauschtes »Fuck you« an die ständige Predigt von Selbstbeherrschung, -optimierung und Leistungsdruck? 

All diesen Fragen wollen wir uns in der nächsten Ausgabe widmen. Wir freuen uns über Beiträge und Rezensionen mit gesellschaftskritischer Perspektive auf das Thema Rausch, über persönliche Texte über die Gründe und Folgen von Konsum, psychischer Gesundheit und das ständige Oszillieren zwischen Genuss, Realitätsflucht und Selbstzerstörung.

Da uns für die neue Ausgabe eine Vielfalt an Textformen wichtig ist, probiert euch gerne an Interviews, Reportagen, Rezensionen oder anderen journalistischen Textgattungen aus. Auch literarische Einsendungen, Bildbesprechungen und Fotostrecken sind uns willkommen. Gerne könnt ihr davor mit uns in Kontakt treten. Einsendungen, die nicht zum Ausgabenthema passen, können in unserer Rubrik »Forum« aufgenommen werden oder werden separat auf unserer Website veröffentlicht. Egal, welche Textform ihr wählt und zu welchem Thema ihr schreibt, beachtet dabei bitte die Beschränkung auf 10.000 Zeichen.

Bitte schickt eure Beiträge bis zum 30.09.2025 an: zeitungsredaktion [at] asta-frankfurt.de (zeitungsredaktion[at]asta-frankfurt[dot]de)