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Schild mit der Aufschrift "Nie wieder ist jetzt"

80 Jahre »Nie wieder«?

Im Januar 2025 jährt sich die Befreiung des NS-Mordlagers Auschwitz durch die Rote Armee zum 80. Mal. Dies nehmen wir zum Anlass für das Thema der nächsten AStA-Zeitung. Was heißt »Nie wieder« heute, in der Zeit erstarkender autoritärer Bewegungen weltweit? Was heißt es für unsere Universität, deren Hauptcampus zur NS-Zeit die Verwaltung der I.G. Farben beherbergte, einer Firma, die direkt am Holocaust beteiligt war?

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Während die letzte Ausgabe der AStA-Zeitung den Blick auf utopische Zukünfte wagte, wollen wir mit der nächsten Ausgabe auf ein vergangenes Ereignis zurückblicken, das sich zum 80. Mal jährt und doch so viel mit der Gegenwart zu tun hat: Am 27. Januar 1945 wurde der Lagerkomplex Auschwitz von der Roten Armee befreit. Darunter war neben dem Mordlager Auschwitz-Birkenau auch das KZ Auschwitz III Monowitz, das von der I.G. Farben als firmeneigenes Konzentrationslager betrieben wurde – eine Entscheidung, die im derzeitigen Hauptgebäude der Frankfurter Universität, der damaligen I.G.-Farben-Zentrale, gefällt wurde.

Gegenwärtig und zukünftig bleibt Adornos Forderung gültig, wonach »unser Denken und Handeln so einzurichten« sei, »dass Auschwitz sich nicht wiederhole, nicht ähnliches geschehe« (Adorno: Negative Dialektik).

Derzeit und wahrscheinlich wieder im Januar 2025 bei Gedenkfeiern zum Jahrestag bestimmt der allgemein bekanntere Ausruf »Nie Wieder!« oder »Nie Wieder ist jetzt!« zwar oft den Diskurs, wenn der aufkeimende Rechtsruck thematisiert wird. Doch was genau sagt dieses »Nie Wieder« aus? Die vermeintliche »Stunde Null« der BRD-Gründung ist nicht mehr als eine Legende – viele, die Verfolgung und Konzentrationslager überlebt hatten oder aus der Emigration zurückkehrten, mussten in den folgenden Jahren erkennen, dass ihre einstigen Peiniger weiterhin an zentralen Hebeln der Macht der jungen BRD saßen. Eine Entnazifizierung fand nie statt.

Sicherlich wiederholt sich Geschichte nicht. Es ist nicht »5 vor 33«, sondern 2024. Doch heute normalisieren sich extrem rechte Parteien, autoritäre Einstellungen und Ideologien der Ungleichwertigkeit. Weltweit regieren faschistoide Kräfte, erringen Mehrheiten in demokratischen Wahlen. Die autoritäre Kontinuität findet neuen Nährboden. Rassismus, Misogynie und Antisemitismus haben Konjunktur.

Im Januar 2024 veröffentlichten Journalist*innen von Correctiv eine investigative Recherche zum »Geheimplan gegen Deutschland«. Diese berichtete von einem Geheimtreffen, in dem Neofaschist*innen, aber auch Vertreter*innen des bürgerlichen Lagers die Möglichkeit von Deportationen erörterten. In Frankfurt fand ein Treffen in ähnlicher Konstellation statt. Kurzzeitig mobilisierte der Aufschrei über das Treffen Hunderttausende, um mit einem parteiübergreifenden »Nie Wieder!« ein Zeichen zu setzen. Trotz oder gerade wegen der breiten Konsensmasse gerieten die Demonstrationen zu einem Antifaschismus der Selbstvergewisserung, ganz ähnlich wie der vor fast 25 Jahren von Gerhard Schröder ausgerufene »Aufstand der Anständigen«. Was hat sich seitdem geändert?

Parteien, die noch Anfang 2024 an Wohlfühl-Großdemonstrationen gegen Rechts teilgenommen haben, sind nun mehr denn je Teil der autoritären Formierung. Sie schließen Grenzen, schieben ab, befeuern rassistische Rhetorik und höhlen das Asylrecht aus. Die Partei, gegen die sich die Proteste vielfach richteten, errang wenige Monate später in bei zwei von drei Landtagswahlen eine Sperrminorität.

In einer Rede zu den »Aspekten des neuen Rechtsradikalismus« (1967) bemerkte Adorno, dass sich die Demokratie nie konkretisiert habe, sondern formal geblieben sei. In diese Unvollständigkeit könnte gerade das Ungewollte einspringen: 

»die faschistische Bewegung könnte man in diesem Sinn als die Wundmale, als die Narben einer Demokratie bezeichnen, die ihrem eigenen Begriff eben doch bis heute nicht voll gerecht wird«

Den eigenen Rechtsruck geben manche bürgerlichen Parteien als Reaktion auf die »Demokratiekrise« aus. Politikverdrossenheit, Komplexitätssteigerung, ein neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit – solche und weitere Faktoren der spätmodernen Gesellschaft trieben die Bürger*innen in die Arme der Rechtspopulist*innen und Neofaschist*innen. Entsprechend sei eine Angleichung an deren Forderungen lediglich demokratisches Kalkül; man wolle die »Wutbürger« ja nicht den Rechten überlassen. Doch was sind Ursachen für die Krise der liberalen Demokratien und welche Strategien können sie entwickeln? Wie könnte die Demokratie sich konkretisieren, statt ihre Lücken mit rechter Propaganda zu füllen? Wie können wir das Versprechen, dass sich Auschwitz nicht nochmal wiederhole, aktiv einhalten? Schließlich sind die gesellschaftliche Entwicklung und die Konjunkturen autoritärer Einstellungen kein Naturphänomen – wir können bei diesen Fragen kein passives, zuschauerhaftes Verhältnis einnehmen. Denn wie diese Dinge sich weiterentwickeln, liegt auch an uns. 

Damit möchten wir auch dazu anregen, für die kommende Ausgabe über Strategien gegen den Rechtsruck zu schreiben, über die Demokratiekrise, die Bedeutung des »Nie Wieder!«, faschistische Kontinuitäten und antifaschistische Strategien. Reicht eure Texte bis zum 1. Januar 2025 an zeitungsredaktion [at] asta-frankfurt.de (zeitung[at]asta-frankfurt[dot]de).

Da uns für die neue Ausgabe eine Vielfalt an Textformen wichtig ist, probiert euch gerne an Interviews, Reportagen oder anderen journalistischen Textgattungen aus. Auch literarische Einsendungen sind uns willkommen. Gerne könnt ihr davor mit uns in Kontakt treten. Einsendungen, die nicht zum Ausgabenthema passen, können in unserer Rubrik »Forum« aufgenommen werden.

Egal, welche Textform ihr wählt und zu welchem Thema ihr schreibt, beachtet dabei bitte die Beschränkung auf 10.000 Zeichen.

»Vielleicht sind manche unter Ihnen, die mich fragen werden oder die mich fragen würden, wie ich nun über die Zukunft des Rechtsradikalismus denke. Ich halte diese Frage für falsch, denn sie ist viel zu kontemplativ. In dieser Art des Denkens, die solche Dinge von vornherein ansieht wie Naturkatastrophen, über die man Voraussagen macht wie über Wirbelwinde oder Wetterkatastrophen, da steckt bereits eine Art von Resignation drin, durch die man sich selbst als politisches Subjekt eigentlich ausschaltet, es steckt darin ein schlecht zuschauerhaftes Verhältnis zur Wirklichkeit. Wie diese Dinge weitergehen und die Verantwortung dafür, wie sie weitergehen, das ist in letzter Instanz an uns.«1